Die Europäische Kommission hat mit Beschluss vom 31. Januar 2018 das von den schwedischen Medien- und Verbraucherschutz-Aufsichtsbehörden angekündigte Verbot von Alkoholwerbung im schwedischen Rundfunk gegenüber zwei britischen Sendern für unvereinbar mit den europarechtlichen Grundsätzen aus der Richtlinie 2010/13/EU (Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste, AVMD-RL) erklärt. Die Entscheidung stützt sich maßgeblich auf die Bestimmungen in Art. 4 AVMD-RL und ist dabei die erste konkrete Entscheidung der Kommission im Vollzug dieser Norm. Die dort getroffenen Feststellungen zur Auslegung und Reichweite der in Art. 4 AVMD-RL verankerten Ausnahmen vom Herkunftslandprinzip sind gerade vor dem Hintergrund der aktuell im Trilogverfahren befindlichen Reform der AVMD-RL interessant, bei der nach dem Vorschlag der Kommission am Herkunftslandprinzip als Basis festgehalten werden soll (Vgl. hierzu auch die Synopse des EMR zur AVMD-Reform, die sowohl auf Deutsch als auch auf Englisch zur Verfügung steht).

Rechtliche Grundlagen der Entscheidung

Die AVMD-RL beruht auf dem Herkunftslandprinzip, wonach Mediendiensteanbieter ausschließlich dem Recht und der Gerichtsbarkeit des Mitgliedstaats unterliegen, in dem sie niedergelassen sind, und zwar unabhängig davon, ob ihre Sendungen in andere Mitgliedstaaten übertragen und dort angesehen werden (können). Ausnahmen hiervon sind jedoch in Art. 4 AVMD-RL enthalten. So können die Mitgliedstaaten, die im Allgemeininteresse liegende ausführlichere oder strengere Bestimmungen erlassen haben, gemäß Artikel 4 der Richtlinie 2010/13/EU angemessene Maßnahmen gegen Fernsehveranstalter unter der Rechtshoheit eines anderen Mitgliedstaats ergreifen, insbesondere wenn der Fernsehveranstalter Fernsehprogramme erbringt, die ganz oder vorwiegend auf das Gebiet des betroffenen Mitgliedstaates ausgerichtet sind.

Die AVMD-RL enthält kein grundsätzliches Verbot von Sponsoring und Werbung für alkoholische Getränke in audiovisuellen Medien (Vgl. weitergehend zu den Entwicklungen im Rahmen der Reform der AVMD-RL den Beitrag „Zwischen Fernsehen ohne Grenzen und Werbung ohne Grenzen – Kommerzielle Kommunikation nun lieber liberal?“, der in der Reihe EMR Impuls erschienen ist).

Das schwedische Gesetz enthält dagegen Bestimmungen zum Schutz der öffentlichen Gesundheit gegen die schädlichen Auswirkungen von Alkohol, nach denen jegliche Form von TV-Sponsoring durch Dritte, deren Haupttätigkeit die Herstellung alkoholischer Getränke ist, sowie jegliche Form der Vermarktung alkoholischer Getränke durch kommerzielle Werbung in Fernsehsendungen verboten sind.

Sachverhalt und Verfahren

Die Fernsehveranstalter Modern Times Group MTG Limited (MTG) und Discovery Corporate Services Limited (Discovery) sind im Vereinigten Königreich niedergelassen. Ihre Sender, TV3, TV6 und TV8 von MTG und Kanal 9 und Discovery von Discovery, werden jedoch in schwedischer Sprache oder mit schwedischen Untertiteln ausgestrahlt und enthalten auf schwedische Märkte ausgerichtete Werbung, wobei sie im Vereinigten Königreich nicht über Kabel oder Satellit zu empfangen sind.

Nachdem ein entsprechendes förmliches Ersuchen an die britische Aufsichtsbehörde Ofcom vom 26. November 2012 ohne Erfolg geblieben war, teilten die schwedische Presse- und Rundfunkbehörde und die schwedische Verbraucheragentur der Kommission  am 30. Oktober 2017 ihre Vorhaben nach Art. 4 Abs. 4 AVMD-RL mit, gerichtlich gegen  die britischen Fernsehveranstalter eine Sondergebühr für den Verstoß gegen das Sponsoringverbot für Alkoholhersteller zu erwirken sowie ein Verfahren einzuleiten, um die Fernsehwerbung zur Vermarktung alkoholischer Getränke an Verbraucher zu unterbinden. Begründet wurde die Notwendigkeit und Zulässigkeit dieses Vorgehens von den schwedischen Behörden damit, dass sich die Sender im Vereinigten Königreich niedergelassen hätten, um die strengeren schwedischen Bestimmungen zu umgehen. MTG und Discovery räumten zwar ein, dass sie seit mehreren Jahren auf ihren schwedischen Sendern Werbung für alkoholische Getränke betreiben und Sendungen sponsern lassen, stritten jedoch die ihnen vorgeworfene Umgehung des schwedischen Gesetzes ab.

Die Behörden untermauerten die Umgehung jedoch nicht nur mit den tatsächlichen Gegebenheiten, sondern mit einer Reihe weiterer Argumente.  Insbesondere wurde in Bezug auf beide Veranstalter vorgebracht, diese hätten keine ausreichenden Gründe gerade für die Niederlassung im Vereinigten Königreich vorgetragen und  die umfangreichen Investitionen und Einnahmen des Fernsehveranstalters im Zusammenhang mit Alkoholwerbung seien bereits indiziell für eine Umgehungsabsicht. In Bezug auf MTG bestünde zudem ein zeitlicher Zusammenhang zwischen der Entscheidung von MTG, sich am 31. Dezember 1986 im Vereinigten Königreich niederzulassen und dem Kommissionsvorschlag für eine AVMD-RL. Zudem sei auch die Erklärung des ehemaligen Geschäftsführer von Kinnevik (das Unternehmen, das MTG gründete) in einer Dokumentarsendung „Nach schwedischem Recht wurde die Ausstrahlung von Werbung im Kabelfernsehen verboten, die direkt an schwedische Haushalte gerichtet war. Um die Vorschrift zu umgehen, wurde beschlossen, von London aus nach ganz Skandinavien zu übertragen.“  Beleg für eine Umgehungsabsicht.

Die Entscheidung der Kommission

Die Kommission gab den Argumenten der Behörden, die in diesem Fall die Beweislast für das Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 4 Abs. 3 tragen, jedoch nicht statt und erklärte daher das angekündigte Vorhaben für unzulässig.

In Bezug auf MTG reiche die bloße Existenz eines Legislativvorschlags der Kommission für sich nicht aus, um eine Umgehung anzunehmen, da nicht sicher gewesen sei, ob, wann und wie der Vorschlag auch tatsächlich in geltendes Recht übernommen werden würde.  Zudem wies die Kommission darauf hin, dass Schweden zum Niederlassungszeitpunkt noch nicht Mitglied der damaligen Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) war, sondern ihr erst  etwa acht Jahre später beitrat. Ihr Vorbringen, MTG habe bereits vor dem Jahr 2002 Werbung für alkoholische Getränke ausgestrahlt, konnten die schwedischen Behörden nicht belegen, sondern lediglich, dass Werbung für einen Hersteller alkoholischer Getränke ausgestrahlt wurde. Da diese aber auch andere Produkte habe bewerben können, hielt die Kommission diesen Vortrag für unerheblich. Das dritte Argument der Behörden verkannte – auch in Verbindung mit einem weiteren Indizienvortrag – nach Ansicht der Kommission dagegen die Beweislastverteilung, nach der die Sender eben nicht die „Nichtumgehung“ beweisen müssten. Vielmehr seien hierzu zwingende Gründe von den schwedischen Behörden vorzutragen gewesen. Hinsichtlich der vorgebrachten umfangreichen Einnahmen und Investitionen seitens MTG verwies die Kommission auf die Niederlassungsfreiheit, die es auch vor dem Hintergrund des Herkunftslandprinzips erlaube, dass Einnahmen in dem Land erzielt werden, in dem die Dienstleistungen erbracht werden (d. h. dem Bestimmungsland), und nicht unbedingt in dem Land, in dem der Anbieter niedergelassen ist (d. h. dem Herkunftsland). Die Tatsache, dass ein Teil der Einnahmen der Fernsehveranstalter aus Alkoholwerbung stamme, ändere hieran nichts. Schließlich trage auch der Verweis auf die Aussagen des ehemaligen Geschäftsführers nicht, da – unter anderem – diese auf das Werbeverbot im Kabelfernsehen bezogen gewesen seien, nicht jedoch auf Alkoholwerbeverbote.

Kurzes Fazit

Die Entscheidung der Kommission behandelt grundsätzlich einen Einzelfall und beschäftigt sich auch detailliert mit dem Individualvortrag beider Seiten. Die Ausführungen zur Gewichtung der vorgebrachten Beweise und Argumente zeigen jedoch allgemein, welche (hohen) Anforderungen von der Kommission an den Nachweis der Umgehung im Sinne von Art. 4 Abs. 3 AVMD-RL gestellt werden. So sollen Indizien und Vermutungen nicht ausreichen, sondern der Vortrag „zwingender Gründe“ erforderlich sein. Da das Herkunftslandprinzip auch nach der Reform wahrscheinlich Eckpfeiler der AVMD-RL bleiben wird, es jedoch zu Erweiterungen im Anwendungsbereich insbesondere in Bezug auf audiovisuelle Mediendienste auf Abruf sowie Videoplattformen, die regelmäßig in zahlreichen Mitgliedstaaten empfangen werden können,  geben wird, verdient die Entscheidung auch losgelöst vom Einzelfall besondere Beachtung. Ungenauigkeiten im Sachvortrag gehen nach der Entscheidung zu Lasten des Mitgliedstaates, der vom Grundsatz der Herkunftslandkontrolle abweichen will. Mit dieser Entscheidungslinie zieht die Kommission auch eine Konsequenz aus vorangegangenem Scheitern eigener, nicht hinreichend im Sachverhalt ermittelter Regulierungen vor EuG und EuGH..

 

Hinweis:

Der Beschluss der Kommission vom 31.1.2018 über die Unvereinbarkeit der vom Königreich Schweden mitgeteilten Maßnahmen gemäß Artikel 4 Absatz 5 der AVMD-Richtlinie (C(2018) 532 final) ist abrufbar über

https://ec.europa.eu/digital-single-market/en/news/commission-decides-swedish-ban-alcohol-advertising-not-compatible-eu-rules

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