Technologie und Daten ersetzen etablierte Wertschöpfungsketten und definieren den Wert von Werbung neu

Der Werbemarkt unterliegt einem fundamentalen Wandel, der Aus­wirkungen auf die bisherige Wertschöpfungskette und die Geschäfts­modelle der Mediaagenturen hat. Es sind nicht mehr nur die früheren drei Hauptakteure werbungtreibende Unternehmen, Mediaagenturen und Vermarkter in einer linearen Wertschöpfungskette bestimmend. Vielmehr ersetzen Technologien und Daten etablierte Wertschöpfungs­ketten, definieren den Wert von Werbung neu, schaffen neue Macht­gefüge und Geschäftsmodelle. Diese Entwicklung steht für die Entkoppelung von Medienumfeld und werblicher Kommunikation, die durch die Entwicklungen im Bereich Programmatic Advertising fortgeschrieben werden. Dem Bruch zwischen Umfeld und Werbung folgt nun die Herstellung von Effizienz und Effektivität der Werbung durch Daten und Technologie.
 
Werbefinanzierte Medienangebote sind von dieser Entwicklung zunehmend betroffen. Sie haben am Ende der Wertschöpfungskette sukzessive mit einem immer geringeren Nettoshare zu rechnen, falls sie nicht in Technologie-Infrastruktur und -kompetenz investieren und neue Möglichkeiten finden, ihre Inhalte marktrelevanter zu gestalten. Bereits in den vergangenen Jahren ist der Nettoshare pro Nutzer in einigen Gattungen deutlich gefallen. Im Programmatic Advertising ist der Wert von Daten, Algorithmen und Technologie höher als der Wert des Inventars, das der Vermarkter bereitstellt. Für werbefinanzierte Medien dürfte damit in Zukunft der Spielraum für die Finanzierung von Content weiter sinken. Der Zugang zur Vermarktung ist für kleine Anbieter schon heute schwierig und könnte in der neuen Welt von Programmatic Advertising für eine noch größere Anbieterschaft eine möglicherweise nahezu unüberwindliche Zugangshürde darstellen.
 

Begrenzter Anteil von Trading am Werbemarkt

 
Das Thema Trading ist dagegen lediglich Vorbote dieser weitaus komplexeren und weiter greifenden Veränderungen. Etwa 7 Prozent der Bruttoerlöse und vier Prozent der Netto-Werbeumsätze in den Gattungen Fernsehen, Hörfunk, Publikums­zeitschriften und Außenwerbung stammen im Durchschnitt bisher aus Trading-Geschäften der Mediaagenturen. Für die Medienfinanzierung ist dabei proble­matisch, dass das Werbeinventar bei Trading-Geschäften im Durchschnitt zu rund 80 Prozent rabattiert wird und bei weiterer Ausdehnung dieses Geschäftsmodells sich in einem stärkeren Maße negativ auf die Nettowerbeerlöse der Medien auswirken könnte.
 
Dies sind die Haupt-Ergebnisse der ökonomischen Analyse des vom Institut für Europäisches Medienrecht (EMR) erstellten Gutachtens im Auftrag der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien (BLM), das heute im Rahmen der Medientage München 2016 veröffentlicht wurde. Bei der ökonomischen Analyse der Entwicklungen im Werbemarkt wurden die Wissenschaftler von einem Experten der IHS Markit Ltd., London, unterstützt. Daneben wurde eine rechtliche Betrachtung vorgenommen.

 

Werbemarkt durch vielfältige Interessenlagen und Intransparenzen geprägt

Die Agenturen selbst finden sich ebenfalls in einer neuen Marktlage wieder; sie konkurrieren sowohl mit Plattformen als auch mit vormals werbefernen Unter­nehmen. Die Mediaagenturen stellen sich in dem neuen Umfeld strategisch neu auf und treiben die Entwicklung datengetriebener Werbung von Transaktions- zur Planungslogik voran. Das bedeutet, dass Werbevermarkter über alle Medien­gattungen hinweg sich nicht mehr auf ihre gattungsinternen Nutzerreichweiten verlassen können, sondern sich durch die Bereitstellung von Daten und Technologie an dieser neuen Logik beteiligen müssen. Die Grenzen zwischen Angebots- und Nachfrageseite verschwimmen und während Medienunternehmen Agentur­kompetenzen etablieren, investieren Agenturen in die Anbieter von Medieninhalten. Dieser neue Werbemarkt ist laut dem EMR komplex und von vielfältigen Interessenslagen und Intransparenzen geprägt. Das Gutachten leistet einen Beitrag dazu, die in diesem Sektor gegebenen Marktstrukturen offen zu legen, um sie in diesem für die Refinanzierung von Medien bedeutenden Bereich erkennbar zu machen und einer ökonomischen und rechtlichen Bewertung zuzuführen. Beides ist grundlegend für eine Beobachtung des Marktes, auf der aufbauend ggf. weitere Maßnahmen durchgeführt werden können.

 

An Finanzmarktlogik orientierte Geschäftsmodelle sollen grundsätzlich nicht unreguliert bleiben

Gerade die Orientierung der neuen Geschäftsmodelle der Mediaagenturen an der Finanzmarktlogik spricht mit Blick auf die seit der Finanzkrise 2007/2008 ent­wickelte Überzeugung, dass kein Finanzmarktakteur und kein Finanzmarktprodukt unreguliert bleiben darf, nach Meinung der EMRdafür, die neuen Geschäftsmodelle wie insbesondere Programmatic Advertising grundsätzlich nicht unreguliert zu lassen. Dies gelte insbesondere wegen der besonderen Bedeutung eines vielfältigen Medienangebots im Blick auf die Demokratie und des engen Zusammenhangs zwischen der Marktposition von Mediaagenturen und anderen Intermediären und der Refinanzierbarkeit medialer Angebote zumindest im werbunggetriebenen Medienumfeld.
 
Hierzu bedarf es Einrichtungen, die nach Auffassung der Gutachter in der Lage sein müssen, die im Werbegeschäft bestehenden Strukturen vor allem auch unter Berücksichtigung der technischen Besonderheiten zu überblicken. Eine effektive Marktbeobachtung und ggf. Regulierung im Bereich der Mediaagenturen und verwandter Marktteilnehmer sei daher jedenfalls im Blick auf die zu verhindernde negative Auswirkung auf die Medienvielfalt nur möglich, wenn es zu einer funktionierenden Zusammenarbeit von Bundes- und Landesaufsichtsinstanzen kommt. Deshalb müssten dahin gehende strukturell wirksame Vorschläge, wie sie sich z.B. für das Verhältnis der Landesmedienanstalten zur Bundesnetzagentur als wettbewerbs-verfahrensrechtlichem Sonderverhältnis in der Stellungnahme des Bundesrates zum Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Telekommuni­kationsgesetzes finden, eine eingehende Betrachtung verdienen, so das EMR. Länder und Bund müssten im Gespräch bleiben, um auch in Zukunft auf beiden Ebenen den gesetzgeberischen Rahmen zu schaffen, der ein vielfältiges Angebot für eine medial gewährleistete gesellschaftliche Öffentlichkeit in Deutschland sichern hilft, so die Autoren des Gutachtens. Es müsse zumindest eine Struktur etabliert werden, die so reaktiv sensibel ist, dass bei aufkommenden neuen Fragestellungen Klärungen und Vereinbarungen herbeigeführt werden könnten. Die Ergebnisse des vorliegenden Gutachtens könnten insoweit als Ausgangspunkt und Arbeitsgrundlage dienen.
 
Zusammenfassende Ergebnis-Darstellung der Untersuchung und Schlussfolgerungen des EMRfinden Sie hier
 
Das komplette Gutachten finden Sie unter: www.blm.de

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