In seinem Urteil vom 16.03.2017 hat der EuGH – Az. Rs. C 138/16 – entschieden, dass Art. 3 Abs. 1 der Urheberrechtsrichtlinie (2001/29/EG) und Art. 11bis der Berner Übereinkunft dahingehend auszulegen sind, dass sie einer nationalen Regelung nicht entgegenstehen, nach der eine gleichzeitige, vollständige und unveränderte Übermittlung von Rundfunksendungen der nationalen Rundfunkanstalt mit Hilfe von Leitungen im Inland nicht aufgrund des ausschließlichen Rechts der öffentlichen Wiedergabe der Erlaubnis des Urhebers bedarf. Dabei darf diese Übermittlung jedoch lediglich eine bloße technische Wiedergabemodalität darstellen und muss auch bei der ursprünglichen Erteilung der Erlaubnis vom Urheber des Werks berücksichtigt worden sein. Dagegen steht Art. 5 Abs. 3 lit. o der Urheberrechtsrichtlinie einer nationalen Regelung entgegen, nach der eine Rundfunksendung über eine Gemeinschaftsantennenanlage mit weniger als 500 Teilnehmern nicht aufgrund des ausschließlichen Rechts der öffentlichen Wiedergabe der Erlaubnis des Urhebers bedarf. Eine solche Regelung muss im Einklang mit Art. 3 Abs. 1 dieser Richtlinie zur Anwendung kommen.
Im österreichischen Ausgangsfall begehrte eine österreichische Verwertungsgesellschaft vom Betreiber einer Kabelnetzanlage, mit deren Hilfe er Fernseh- und Hörfunksendungen des ORF und von anderen Rundfunkanstalten überträgt, Auskunft über die Zahl der Teilnehmer, die zu verschiedenen Bezugszeitpunkten an die betriebene Kleinkabelanlage angeschlossen waren, sowie über die ausgestrahlten Inhalte, um daraus nach einer Überprüfung gegebenenfalls Ansprüche geltend machen zu können. Gegen den Auskunftsanspruch stellte sich der Betreiber der Kabelnetzanlage mit der Begründung, dass nach § 17 Abs. 3 Nr. 2 lit. b des österreichischen Urheberrechtsgesetzes die von Kleinanlagen mit weniger als 500 Teilnehmern ausgestrahlten Sendungen nicht als neue Rundfunksendung gelten würde. Diese Bestimmung wurde von der Verwertungsgesellschaft als unionsrechtswidrig gerügt, woraufhin das Handelsgericht Wien dem EuGH die Frage vorlegte, ob Art. 3 Abs. 1 oder Art. 5 der Urheberrechtsrichtlinie dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden entgegenstehen.
In seinem Urteil kam der EuGH dabei zunächst zu der Feststellung, dass eine öffentliche Wiedergabe im Sinne des Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie bei der Gemeinschaftsanlage nicht vorliegt, da die betreffenden Rechteinhaber beim Erteilen der Sendeerlaubnis Kenntnis davon haben, dass die Sendungen des ORF von allen im Inhalt befindlichen Personen empfangen werden können. Da die Verbreitung über die Leitungen im Inland erfolgt und dies auch von den Rechteinhabern bei der Lizenzvergabe berücksichtigt wurde, kann das Publikum, das die Sendungen über die Leitungen des Betreibers der Kabelnetzanlange empfängt, nicht als neues Publikum angesehen werden.
In einem zweiten Schritt prüften die Richter, ob eine nationale Regelung, nach der die Übermittlung von Sendungen über eine Gemeinschaftsantennenanlage mit nicht mehr als 500 angeschlossenen Teilnehmern nicht als neue Rundfunksendung gilt, von Art. 5 Abs. 3 lit. o der Urheberrechtsrichtlinie erfasst wird, nach der in Fällen von geringer Bedeutung auf eine Erlaubnis der Rechteinhaber verzichtet werden kann. Im vorliegenden Fall entschieden die Richter jedoch, dass das Entstehen einer Vielzahl solcher Gemeinschaftsanlagen zu einem flächendeckenden Parallelzugang zu den Sendungen führen könnte, womit eine (zustimmungspflichtige) öffentliche Wiedergabe zu bejahen wäre. Aufgrund dieses Kumulativeffektes lehnte der EuGH eine geringe Nutzung im Sinne des Art. 5 Abs. 3 lit. o ab. Im Ergebnis muss daher bei einer derartigen Regelung der in Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie genannte Grundsatz beachtet werden, wonach den Urhebern geschützter Rechte das ausschließliche Recht zusteht, die öffentliche Wiedergabe der Werke zu erlauben oder zu verbieten.
Das Urteil des EuGH vom 16.03.2017 – Rs. 138/16- ist in deutscher Sprache abrufbar.

Ursprünglich erschienen im EMR-Newsletter 06/2017, der Author ist Sebastian Klein

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