Der Europäische Gerichtshof für Menschenrecht hat in seinem gestrigen Urteil vom 05. April 2018 (Rechtssache 35285/16, Nix ./. Deutschland) festgestellt, dass eine Strafbarkeit wegen der Veröffentlichung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen auch dann nicht ungerechtfertigt in Grundrechte eingreift und daher ausgeschlossen ist, wenn der Betroffene damit gerade Kritik am Nationalsozialismus ausübt. Insbesondere müsse hierbei auch die Geschichte Deutschlands in die Bewertung einfließen. 

Der Entscheidung liegt ein Sachverhalt aus dem Jahre 2014 zugrunde. Das Jobcenter forderte im März 2014 die 18-jährige, deutsch-nepalesische Tochter des späteren Beschwerdeführers postalisch auf, einen Fragebogen auszufüllen, insbesondere hierauf anzugeben, ob sie beabsichtige, den Schulbesuch nach September 2014 fortzusetzen oder eine Berufsausbildung oder ein Hochschulstudium zu beginnen. Der spätere Beschwerdeführer deutete in diese Vorgehensweise die Absicht des Jobcenters, seine Tochter auf rassistische und diskriminierende Weise in einen Niedriglohnjob zu treiben. Diesen Vorwurf machte er auch in dem von ihm betriebenen Internetblog kund und berichtete dort zudem über den weiteren Schriftverkehr. Unter anderem verfasste er auch unter der Überschrift „[Name des Mitarbeiters des Jobcenters] offeriert ‚passgenaue‘ Eingliederung in das Billiglohnland“ einen Beitrag, der ein Bild des ehemaligen NSDAP-Funktionärs Heinrich Himmler in SS-Uniform enthielt, auf dem das Abzeichen der NSDAP mit Hakenkreuz auf der Brusttasche und ein Hakenkreuzarmband sichtbar waren, sowie ein Zitat von diesem über die Schulbildung von Kindern in Osteuropa während der Nazi-Besatzung. Aufgrund dieses Beitrags wurde der spätere Beschwerdeführer vom AG München unter anderem wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen (§ 86a StGB) verurteilt. Die Berufung beim Landgericht München und die Revision beim Bundesgerichtshof blieben erfolglos. Das Bundesverfassungsgericht nahm die Sache nicht zur Entscheidung an, sodass sich der Beschwerdeführer unter Berufung auf Art. 10 EMRK an den EGMR wandte. 

Der EGMR gab der Argumentation des Beschwerdeführers, dass die Gerichte nicht ausreichend berücksichtigt hätten, dass sein Blogbeitrag als Protest gegen die Diskriminierung von Kindern mit Migrationshintergrund gedient habe, jedoch nicht statt. Der Gerichtshof stellte vielmehr fest, dass der Eingriff in die Meinungsfreiheit durch die Verurteilung gerechtfertigt war, da er – wie es Art. 10 Abs. 2 EMRK verlange – „in einer demokratischen Gesellschaft notwendig“ gewesen sei. Hierbei sei insbesondere zu berücksichtigen, dass die Einführung des streitgegenständlichen Straftatbestandes in Deutschland geschichtlich bedingt sei und ein vollständiges „kommunikatives Tabu“ etablieren sollte. Vor diesem Hintergrund und aufgrund der Tatsache, dass auch eine kritische Auseinandersetzung mit dem Thema möglich sei, wenn man sich ausreichend von der betreffenden Ideologie distanziere, sei eine Verurteilung mit dem Recht auf freie Meinungsäußerung grundsätzlich vereinbar. Im vorliegenden Fall habe der Beschwerdeführer sich aber gerade nicht ausreichend distanziert, selbst wenn der Beitrag Kritik an der nationalsozialistischen Ideologie ausgedrückt habe. Der Blogartikel enthielt nach Auffassung des EGMR nämlich weder einen Verweis zu den früheren Blog-Beiträgen noch seien die Umstände des konkreten Falls aufgeklärt worden, sodass dem Leser die Hintergründe und der Vergleich mit dem NS-Regime nicht sofort verständlich sein konnten.  

 

Die Pressemitteilung des EGMR ist abrufbar unter

http://hudoc.echr.coe.int/eng-press?i=003-6051305-7779982