Der Bundesgerichtshof hat sich heute in drei Urteilen zum Urheberrecht geäußert. Die Richter des ersten Zivilsenats trafen Entscheidungen über zur Rechtswidrigkeit von Tonträger-Samplings (Urteil vom 30. April 2020 – I ZR 115/16 – Metall auf Metall IV), zur Zulässigkeit der Veröffentlichung militärischer Lageberichte (Urteil vom 30. April 2020 – I ZR 139/15 – Afghanistan Papiere II) und zur Zulässigkeit der Veröffentlichung von Buchbeiträgen eines Bundestagsabgeordneten durch ein Internet-Nachrichtenportal (Urteil vom 30. April 2020 – I ZR 228/15 – Reformistischer Aufbruch II).
Metall auf Metall
So wies der BGH den Rechtsstreit zwischen dem Musikproduzenten Moses Pelham und den Mitgliedern der Musikgruppe Kraftwerk erneut an das Oberlandesgericht zurück. Hintergrund des seit fast 22 Jahre andauernden Verfahrens ist die urheberrechtliche Klärung der Verwendung von zwei Takten aus einem Musikstück. Die Kläger sind Mitglieder der Musikgruppe „Kraftwerk“. Diese veröffentlichte im Jahr 1977 einen Tonträger, auf dem sich das Musikstück „Metall auf Metall“ befindet. Die Beklagten sind die Komponisten des Titels „Nur mir“. Zur Herstellung des Titels hatten die Beklagten zwei Sekunden einer Rhythmussequenz aus dem Titel „Metall auf Metall“ elektronisch kopiert („gesampelt“) und dem Titel „Nur mir“ in fortlaufender Wiederholung unterlegt. Die Kläger sehen dadurch ihre Rechte als Tonträgerhersteller verletzt. Sie haben die Beklagten auf Unterlassung in Anspruch genommen, Tonträger mit der Aufnahme „Nur mir“ herzustellen und in Verkehr zu bringen. Außerdem haben sie die Feststellung der Schadensersatzpflicht der Beklagten, Auskunftserteilung und Herausgabe der Tonträger zum Zweck der Vernichtung verlangt.
Der BGH führte nun aus, es müsse zwischen Handlungen vor dem 22. Dezember 2002 und Handlungen ab dem Inkrafttreten der Richtlinie 2001/29/EG unterschieden werden. Eine Verletzung der Rechte der Kläger kommt im Hinblick auf eine etwaige Vervielfältigungshandlung laut Urteil ab 2002 in Betracht. Nach den vom Europäischen Gerichtshof aufgestellten Maßstäben läge eine Vervielfältigung im Sinne des Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2001/29/EG nicht vor, wenn ein Nutzer in Ausübung der Kunstfreiheit einem Tonträger ein Audiofragment entnimmt, um es in geänderter und beim Hören nicht wiedererkennbarer Form in einem neuen Werk zu nutzen. Vorliegend sei die Rhythmussequenz wiedererkennbar. Die Entnahme der zwei Takte stelle damit eine Vervielfältigung dar. Die Beklagten könnten sich auch nicht mit Erfolg auf eine Schrankenregelung berufen. Das Oberlandesgericht soll nun Feststellungen dazu treffen, ob die Beklagten ab dem 22. Dezember 2002 Handlungen der Vervielfältigung oder Verbreitung vorgenommen haben oder ob solche Handlungen ernsthaft und konkret zu erwarten waren.
https://www.bundesgerichtshof.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2020/2020046.html?nn=10690868
Afghanistan Papiere
Zur Frage der Zulässigkeit der Veröffentlichung militärischer Lageberichte hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass die Bundesrepublik Deutschland die Veröffentlichung militärischer Lageberichte über den Afghanistaneinsatz der Bundeswehr durch die Presse nicht unter Berufung auf das Urheberrecht untersagen kann.
Hintergrund sind wöchentlich von der Bundesregierung veröffentlichte militärische Lageberichte über die Auslandseinsätze der Bundeswehr und Entwicklungen im Einsatzgebiet erstellen. Die Berichte werden unter der Bezeichnung „Unterrichtung des Parlaments“ (UdP) an ausgewählte Abgeordnete des deutschen Bundestages, Referate im Bundesministerium der Verteidigung und anderen Bundesministerien, sowie dem Bundesministerium der Verteidigung nachgeordneten Dienststellen versendet. Sie sind als Verschlusssache „VS – Nur für den Dienstgebrauch“ eingestuft. Daneben veröffentlicht die Klägerin gekürzte Fassungen der UdP als „Unterrichtung der Öffentlichkeit“ (UdÖ).
Die Westdeutschen Allgemeinen Zeitung beantragte im Jahr 2012 unter Berufung auf das Informationsfreiheitsgesetz die Einsichtnahme in sämtliche UdP aus der Zeit zwischen dem 1. September 2001 und dem 26. September 2012. Nach Ablehnung dieses Antrags gelangte das Nachrichtenportal auf unbekanntem Weg an einen Großteil der Berichte und veröffentlichte diese unter der Bezeichnung „Afghanistan-Papiere“ im Internet und wurde daraufhin von der Bundesregierung auf Unterlassung in Anspruch genommen.
Der Bundesgerichtshof hat das Berufungsurteil nun aufgehoben und die Klage abgewiesen. Es könne offenbleiben, ob die UdP urheberrechtlich als Schriftwerke geschützt sind. Die Beklagte habe durch die Veröffentlichung der UdP jedenfalls ein daran bestehendes Urheberrecht nicht widerrechtlich verletzt. Zu ihren Gunsten greife vielmehr die Schutzschranke der Berichterstattung über Tagesereignisse (§ 50 UrhG) ein.
https://www.bundesgerichtshof.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2020/2020045.html?nn=10690868
Reformistischer Aufbruch
In einem weiteren Verfahren hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass die Veröffentlichung von Buchbeiträgen eines Bundestagsabgeordneten auf einem Internet-Nachrichtenportal zulässig war.
Kläger ist der Grünen-Politiker und ehemalige Bundestagsabgeordnete Volker Beck. Er ist Verfasser eines Manuskripts, in dem er sich gegen die radikale Forderung einer vollständigen Abschaffung des Sexualstrafrechts wandte, aber für eine teilweise Entkriminalisierung gewaltfreier sexueller Handlungen Erwachsener mit Kindern eintrat. Der Text erschien im Jahr 1988 als Beitrag in einem Buch. Im Mai 1988 beanstandete der Kläger gegenüber dem Herausgeber des Buchs, dieser habe ohne seine Zustimmung Änderungen am Text und an den Überschriften vorgenommen, und forderte ihn auf, dies bei der Auslieferung des Buchs kenntlich zu machen. In den Folgejahren wurde der Kläger mehrfach kritisch mit den Aussagen des Buchbeitrags konfrontiert. Er erklärte daraufhin wiederholt, sein Manuskript sei durch den Herausgeber im Sinn verfälscht worden, weil dieser die zentrale Aussage – die Abkehr von der seinerzeit verbreiteten Forderung nach Abschaffung des Sexualstrafrechts – wegredigiert habe. Spätestens seit dem Jahr 1993 distanzierte sich der Kläger vollständig vom Inhalt seines Aufsatzes. Im Jahr 2013 wurde in einem Archiv das Originalmanuskript des Klägers aufgefunden und ihm wenige Tage vor der Bundestagswahl, für die er als Abgeordneter kandidierte, zur Verfügung gestellt. Der Kläger übermittelte das Manuskript an mehrere Zeitungsredaktionen als Beleg dafür, dass es seinerzeit für den Buchbeitrag verändert worden sei. Einer Veröffentlichung der Texte durch die Redaktionen stimmte er nicht zu. Stattdessen stellte er das Manuskript und den Buchbeitrag mit dem Hinweis auf seiner Internetseite ein, er distanziere sich von dem Beitrag. Mit einer Verlinkung seiner Internetseite durch die Presse war er einverstanden.
Vor der Bundestagswahl veröffentlichte die Beklagte in ihrem Internetportal einen Pressebericht, in dem die Autorin die Ansicht vertrat, der Kläger habe die Öffentlichkeit jahrelang hinters Licht geführt. Die Originaldokumente belegten, dass das Manuskript nahezu identisch mit dem Buchbeitrag und die zentrale Aussage des Klägers keineswegs im Sinn verfälscht worden sei. Die Internetnutzer konnten das Manuskript und den Buchbeitrag über einen elektronischen Verweis (Link) herunterladen. Die Internetseite des Klägers war nicht verlinkt. Der Kläger sieht in der Veröffentlichung der Texte eine Verletzung seines Urheberrechts. Er hat die Beklagte auf Unterlassung und Schadensersatz in Anspruch genommen.
Der Bundesgerichtshof entschied nun, dass durch die Bereitstellung des Manuskripts und des Buchbeitrags in ihrem Internetportal das Urheberrecht des Klägers nicht widerrechtlich verletzt worden sei. Zu Gunsten des Portals greife vielmehr die Schutzschranke der Berichterstattung über Tagesereignisse (§ 50 UrhG) ein.
https://www.bundesgerichtshof.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2020/2020044.html?nn=10690868