Mit Urteil vom 04. Juli 2019 hat der EuGH im Baltic Media Alliance Fall (C-622/17, Baltic Media Alliance Ltd ./. Lietuvos radijo ir televizijos komisija,) entschieden, dass die AVMD-Richtlinie einer Regelung in einem Mitgliedstaat nicht entgegensteht, die die Auflage ermöglicht, einen Fernsehkanal aus einem anderen Mitgliedstaat vorübergehend nur in Bezahlfernsehpaketen zu übertragen oder weiterzuverbreiten. Dies könne aus Gründen der öffentlichen Ordnung wie der Bekämpfung der Aufstachelung zu Hass rechtmäßig sein. Damit gab der EuGH der litauischen Radio- und Fernsehkommission (Lietuvos radijo ir televizijos komisija, LRTK) recht, die eine entsprechende Verfügung gegenüber der Baltic Media Alliance erlassen hatte. 

Baltic Media ist ein Fernsehsender mit Sitz im Vereinigten Königreich, der unter anderem den Fernsehkanal NTV Mir Lithuania ausstrahlt, der sich an das litauische Publikum richtet und mehrheitlich russischsprachige Inhalte enthält. Mit der Begründung, verschiedene Sendungen auf dem Kanal hätten zu Feindseligkeit und Hass aufgrund der Staatsangehörigkeit gegenüber den baltischen Staaten aufgestachelt, verpflichtete die LRTK den Sender am 18. Mai 2016, für einen Zeitraum von zwölf Monaten den Kanal NTV Mir Lithuania nur noch in Bezahlfernsehpaketen zu verbreiten. Insbesondere hätten die ausgestrahlten Sendungen gezielt an die russischsprachige Minderheit in Litauen falsche Informationen betreffend die Kollaboration von Litauern und Letten im Rahmen des Holocaust sowie die angeblich nationalistische und neonazistische Innenpolitik der baltischen Staaten – einer Politik, die angeblich eine Bedrohung für die russische Minderheit im Hoheitsgebiet dieser Länder darstelle – verbreitet. Grundlage dieser Verfügung ist das litauische Gesetz über die Bereitstellung von Informationen (Lietuvos Respublikos visuomenės informavimo įstatymas), dessen Artikel 33 entsprechende Maßnahmen bei Verstößen gegen Artikel 19 Abs. 1 vorsieht. Art. 19 Abs. 1 verbietet wiederum, in den Medien Inhalte zu verbreiten, die „Propagandakrieg, Kriegshetze oder Hass, Spott oder Verachtung, Anstiftung zu Diskriminierung, Gewalt oder physische Repressalien gegen eine Gruppe von Personen oder ein Mitglied dieser Gruppe aufgrund des Alters, des Geschlechts, der sexuellen Orientierung, der ethnischen Zugehörigkeit, der Rasse, der Nationalität, der Staatsbürgerschaft, der Sprache, der Herkunft, des sozialen Status, der Überzeugungen, Überzeugungen, Meinungen oder Religion“ enthalten. Mit dieser Bestimmung wurde in Litauen die Vorgabe aus Artikel 6 der AVMD-Richtlinie umgesetzt, mit der die Mitgliedstaaten dazu aufgefordert werden, mit angemessenen Mitteln dafür zu sorgen, dass die ihrer Rechtshoheit unterworfenen audiovisuellen Mediendienste nicht zu Hass aufgrund von Rasse, Geschlecht, Religion oder Staatsangehörigkeit aufstacheln. In der AVMD-Richtlinie gilt allerdings grundsätzlich auch das Herkunftslandprinzip, wonach Anbieter audiovisueller Mediendienste grundsätzlich nur dafür Sorge tragen müssen, dass ihr Angebot dem Recht des EU-Mitgliedstaates entspricht, dessen Rechtshoheit sie unterworfen sind. Empfangsstaaten müssen nach Art. 3 Abs. 1 der AVMD-Richtlinie den freien Empfang gewährleisten und dürfen die Weiterverbreitung nicht behindern. Gestützt auf eben diese verbindliche Regelung auf EU-Ebene, ging Baltic Media gerichtlich gegen die Entscheidung der LRTK mit dem Argument vor, das litauische Recht verstoße gegen die Vorgaben aus der AVMD-Richtlinie. Das mit der Sache befasste Regionale Verwaltungsgericht Vilnius, legte dem EuGH die Sache vor und stellte insbesondere die Frage, ob Art. 3 Abs. 1 und 2 nur für Fälle gilt, in denen ein Empfangsmitgliedstaat die Übertragung und/oder Weiterübertragung von Fernsehsendungen aussetzen möchte, oder auch für andere Maßnahmen eines Empfangsmitgliedstaats, mit denen in anderer Weise der freie Empfang von Programmen und ihre Verbreitung eingeschränkt werden sollen. 

Der EuGH urteilte nun im Sinne der ersteren Alternative. Es stelle keine Behinderung im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der AVMD-Richtlinie dar, wenn bestimmte Modalitäten – wie hier die Verpflichtung, den Kanal nur im Pay-TV auszustrahlen – die Weiterverbreitung im eigentlichen Sinne des Kanals nicht verhindern. Mit einer solchen Maßnahme werde nämlich keine zweite Kontrolle der Sendung des betreffenden Kanals zusätzlich zu der vom Sendemitgliedstaat durchzuführenden Kontrolle eingeführt, was das Herkunftslandprinzip gerade verhindern wolle. Art. 3 Abs. 1 beziehe sich nur auf den von der AVMD-Richtlinie koordinierten Bereich, der sich wiederum nur auf die „Bereitstellung von audiovisuellen Mediendiensten“ beschränke. Für eine solche Auslegung sprechen laut EuGH insbesondere Wortlaut und Entstehungsgeschichte der Vorschrift. Da der EuGH bereits Art. 3 Abs. 1 nicht für einschlägig hielt, kam es im Detail nicht mehr auf eine Prüfung von Art. 3 Abs. 2 AVMD-Richtlinie an, der den Mitgliedstaaten in Bezug auf Fernsehsendungen gestattet, vorläufig von Artikel 3 Absatz 1 abzuweichen, sofern eine Reihe von materiellen und verfahrensrechtlichen Bedingungen erfüllt sind.