In einem am 29. Juli 2018 veröffentlichten, bereits am 24. Juli 2018 ergangenen Beschluss hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) erneut Schranken der Integrationsgewalt nach dem Grundgesetz aufgezeigt. In Fortführung seiner bisherigen Rechtsprechung unterstreicht das BVerfG nicht zuletzt Grenzen eines dynamischen Vollzugs des Integrationsprogramms einer zwischenstaatlichen Einrichtung, auf die Hoheitsrechte übertragen wurden. Die Entscheidung hat zwar schulrechtlche Fragen zum Ausgangspunkt, ihre Argumentationslinien sind indessen in gleicher Weise für Übertragungen von Hoheitsrechten auf zwischenstaatliche Einrichtungen in Bereichen wie dem Medien-, Datenschutz- und Telekommunikationsrecht bedeutsam. Einer gewollten oder gebilligten Flucht insbesondere aus dem verfassungsrechtlichen Grundrechtsschutz, zumindest soweit es um den Wesensgehalt der betreffenden Grundrechte geht, sind damit nachhaltig wirksame Schranken gesetzt. Besondere Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang der Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes gegen Hoheitsakte der zwischenstaatlichen Einrichtung zu. Die Entscheidung des BVerfG kann insoweit auch als inzidente Mahnung mit Blick auf Gefährdungen der Rechtsstaatlichkeit in EU-Mitgliedstaaten wie Polen oder Ungarn und als klare Absage an Konzepte einer „Vertikale der Macht“, und sei es eine supranationale Macht, verstanden werden.

Im Einzelnen:

Integrationsgesetze, mit denen nach Art. 24 Abs. 1 GG Hoheitsrechte auf zwischenstaatliche Einrichtungen übertragen werden, müssen sicherstellen, dass auch die zwischenstaatliche Einrichtung einen Grundrechtsschutz gewährleistet, der den vom Grundgesetz geforderten Mindeststandard umfasst, insbesondere den Wesensgehalt der Grundrechte (Art. 19 Abs. 2 GG) garantiert.

Öffnet der Staat seine Rechtsordnung und räumt er den Organen einer zwischenstaatlichen Einrichtung Hoheitsrechte ein, die (Grund-)Rechte beschränken oder solche Beschränkungen ermöglichen können, so trifft ihn die Pflicht, die Gewährleistung des vom Grundgesetz geforderten Minimums an Grundrechtsschutz sicherzustellen. Insoweit darf der Integrationsgesetzgeber Hoheitsrechte auf eine zwischenstaatliche Einrichtung nur übertragen, wenn diese rechtsstaatliche, einen adäquaten Grundrechtsschutz verbürgende Garantien aufweist. Darüber hinaus sind alle Verfassungsorgane im Rahmen ihrer Kompetenzen verpflichtet, darauf hinzuwirken, dass die vom Grundgesetz geforderten Mindeststandards nicht unterschritten werden.

Die im Grundgesetz verbrieften Grundrechte erfordern darüber hinaus nicht nur bei der Übertragung von Hoheitsrechten Beachtung, sondern auch beim Vollzug des Integrationsprogramms. Das kann auch dazu führen, dass ein zunächst verfassungsmäßiges Integrationsgesetz nachträglich verfassungswidrig wird, wenn eine verfassungswidrige Anwendungspraxis auf das Integrationsgesetz selbst zurückzuführen ist und darin ein strukturbedingtes normatives Regelungsdefizit zum Ausdruck kommt.

Zum im Rahmen zwischenstaatlicher Einrichtungen zu sichernden Mindestmaß an Grundrechtsschutz gehört nicht zuletzt ein wirkungsvoller Rechtsschutz. Die Garantie des effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG verlangt nicht nur, dass jeder potentiell rechtsverletzende Akt der Exekutive in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht der richterlichen Prüfung unterliegt; vielmehr müssen die Gerichte den betroffenen Rechten auch tatsächliche Wirksamkeit verschaffen. Der Zugang zu einer gerichtlichen Entscheidung in der Sache darf daher – vorbehaltlich verfassungsunmittelbarer Schranken – in keinem Fall ausgeschlossen, faktisch unmöglich gemacht oder in unzumutbarer, durch Sachgründe nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert werden. Auf die Gewährleistung eines dermaßen wirkungsvollen Rechtsschutzes hat der Einzelne einen verfassungskräftigen Anspruch. Ermächtigt der Gesetzgeber zwischenstaatliche Einrichtungen oder internationale Organisationen dazu, öffentliche Gewalt unmittelbar gegenüber den Betroffenen in Deutschland auszuüben, muss er einen wirkungsvollen Rechtsschutz sicherstellen. Geboten ist insoweit ein Individualrechtsschutz durch unabhängige Stellen, die mit hinlänglicher Gerichtsbarkeit, insbesondere mit einer dem Rechtsschutzbegehren angemessenen Prüfungs- und Entscheidungsmacht über tatsächliche und rechtliche Fragen, ausgestattet sind, auf Grund eines Verfahrens entscheiden, das rechtliches Gehör, dem Streitgegenstand angemessene Angriffs- und Verteidigungsmittel und einen frei gewählten, kundigen Beistand ermöglicht und deren Entscheidungen die Verletzung eines Grundrechts sachgerecht und wirksam sanktionieren. Des Weiteren müssen supranationale Rechtsschutzeinrichtungen ihre Gerichtsbarkeit auch tatsächlich ausüben. Dieser Maßstab deckt sich mit den – bei der Auslegung des Grundgesetzes gemäß Art. 1 Abs. 2 GG zu berücksichtigenden – Anforderungen aus Art. 6 Abs. 1 EMRK und der Rechtsprechung des EGMR, an die ein Konventionsstaat auch gebunden bleibt, wenn er Hoheitsrechte auf zwischenstaatliche Einrichtungen überträgt. Auch insoweit muss er einen Grundrechtsschutz sicherstellen, der dem von der Konvention gewährten Schutz gleichwertig ist.

Mit der Ermächtigung zur Übertragung von Hoheitsrechten nach Art. 24 Abs. 1 und 1a GG geht allerdings unter Beachtung der vorgenannten Schranken nicht nur die Möglichkeit einher, die Rechtsprechungsaufgabe auf die supranationale Einrichtung zu übertragen, sondern auch die Befugnis, den Zugang zu deutschen Gerichten insoweit auszuschließen. Auslegung und Anwendung des supranationalen Rechts – einschließlich der Bestimmung der dabei anzuwendenden Methode – obliegen im Rahmen des verfassungsrechtlich Zulässigen dann allein den völkerrechtlich ermächtigten Rechtsschutzinstanzen.