Der I. Zivilsenat des Bundesverfassungsgerichts hat mit Beschluss vom 1. Juni 2017 (I ZR 139/15) den Fall der „Afghanistan-Papiere“ dem Europäischen Gerichtshof vorgelegt. Dieser wird sich nun erneut mit der Reichweite der Pressefreiheit und deren Verhältnis zu anderen Rechtsgebieten zu beschäftigen haben.

Der Fall: BRD versus WAZ

Im Fokus des Rechtsstreits steht die Veröffentlichung von militärischen Lageberichten über die Auslandseinsätze der Bundeswehr durch die Westdeutsche Allgemeinen Zeitung (WAZ) aus dem Jahr 2012. Diese Berichte werden wöchentlich von der Bundesregierung erstellt und gesammelt unter der Bezeichnung „Unterrichtung des Parlaments“ (UdP) und der Einstufung „VS-NUR FÜR DEN DIENSTGEBRAUCH“ an ausgewählte Abgeordnete des Deutschen Bundestags, Referate im Bundesministerium der Verteidigung und in anderen Bundesministerien sowie dem Bundesministerium der Verteidigung nachgeordnete Dienststellen übersandt. Wie die WAZ an einen Großteil der UdP gelangt ist, ist bislang ungeklärt – ihr zuvor gestellter Antrag auf Einsichtnahme in die UdP wurde jedenfalls mit der Begründung abgelehnt, dass das Bekanntwerden der Informationen nachteilige Auswirkungen auf sicherheitsempfindliche Belange der Bundeswehr haben könne.

Gegen diese Veröffentlichung hat die Bundesrepublik Deutschland Klage auf Unterlassung gegen die WAZ erhoben und sich dabei auf ihr Urheberrecht an den ohne Genehmigung veröffentlichten Unterlagen berufen.

Ist das nicht Cicero 2.0?

Einen vom Sachverhalt her ähnlich gelagerten Fall hatte das Bundesverfassungsgericht in seinem Cicero-Urteil (BVerfGE 117, 244) bereits 2007 zugunsten der Pressefreiheit entschieden. Damals ging es um einen von dem Magazin „Cicero“ veröffentlichten Artikel über den Terroristen Abu Musab az-Zarqawi, in dem Textpassagen aus einen streng geheimen Auswertungsbericht des Bundeskriminalamtes (BKA) zitiert wurden, die dem Magazin von einer internen Quelle beim BKA zugespielt worden waren. Die Staatsanwaltschaft durchsuchte im Rahmen der daraufhin gegen den verantwortlichen Journalisten und den Chefredakteur eingeleiteten Ermittlungsverfahren wegen Beihilfe zur Verletzung des Dienstgeheimnisses gemäß §§ 353 b, 27 StGB die Redaktionsräume des Magazins und beschlagnahmte dort unter anderem eine Festplatte. Sowohl gegen die Durchsuchungsanordnung als auch gegen die Beschlagnahmeanordnung ging das Magazin letztendlich bis zur Verfassungsbeschwerde wegen eines unzulässigen Eingriffs in die Pressefreiheit vor und wurde vom BVerfG bestätigt. Die strafrechtlichen und strafprozessualen Vorschriften seien „unter Berücksichtigung der Pressefreiheit auszulegen und anzuwenden“ und in diesem Lichte sei ein erheblicher Eingriff in das von Art. 5 Abs. 1 geschützte Redaktionsgeheimnis nicht bereits wegen eines vagen Verdachtsmomentes gerechtfertigt. Der Schutz des Redaktionsgeheimnisses sei schließlich unentbehrlich, weil die Presse auf private Mitteilungen nicht verzichten könne, diese Informationsquelle aber nur dann ergiebig fließen würde, wenn sich der Informant grundsätzlich auf die Wahrung des Redaktionsgeheimnisses verlassen könne.

Auf den ersten Blick ist der zugrundliegende Sachverhalt mit dem nun zu entscheidenden Fall also nahezu identisch: Ein Presseunternehmen hat im Rahmen der Wahrnehmung der Pressefreiheit Unterlagen veröffentlicht, die der Geheimhaltung unterlagen.

Anders als im damaligen Fall, stützt die BRD ihre Argumentation aber nicht auf die Begehung eines Straftatbestandes in Form des Geheimnisverrates, sondern auf die Verletzung ihres Urheberrechts an den ohne Genehmigung veröffentlichten Unterlagen. Hier stellt sich also der Urheber auf dem Zivilrechtsweg als Verletzter dar, während im Fall Cicero die Verletzung des Magazins als Träger des Redaktionsgeheimnisses im Raum stand. Hierdurch ergibt sich auch ein anderer Ansatz für mögliche Argumentationen, da das Urheberrecht nicht nur finanzielle, sondern auch urheberpersönlichkeitsrechtliche Aspekte schützt.

Vorinstanzen sehen in der Veröffentlichung der Afghanistan-Papiere einen unzulässigen Eingriff in Urheberrechte

Sowohl das LG Köln (Urteil vom 2. Oktober 2014 – 14 O 333/13) als auch das OLG Köln (Urteil vom 12. Juni 2015 – 6 U 5/15) gaben der Klage der BRD mit der Begründung statt, dass die Unterlagen als Sprachwerke gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 UrhG schutzfähig seien, da die darin enthaltenen Fakten wegen ihrer konkreten Darstellungsform einen hinreichenden Grad an geistiger Schöpfungshöhe aufwiesen. Der Urheberrechtsschutz sei auch nicht ausgeschlossen, da es sich bei der UdP nicht um ein amtliches Werk im Sinne von § 5 UrhG handele und durch die Kennzeichnung als ‚nur für den Dienstgebrauch bestimmt‘ auch nicht von einer Veröffentlichung im Sinne von § 6 UrhG auszugehen sei. Schließlich sei der Eingriff in das Urheberrecht durch Veröffentlichung (§ 12 Abs. 1 UrhG), Vervielfältigung (§ 16 UrhG) und öffentliche Zugänglichmachung (§ 19a UrhG) auch nicht gerechtfertigt, da die Schrankenregelungen der §§ 50, 51 UrhG nicht einschlägig seien und eine Rechtfertigung über Art. 5 Abs. 1 S. 1 und 2 GG bereits wegen eines mangelnden Eingriffs in die Pressefreiheit ausscheide, denn schließlich ginge es nicht darum, ob über die Afghanistan-Papiere berichtet werden dürfe, sondern darum, ob sie im Detail abgedruckt werden können. Klarstellend entschied das LG Köln allerdings, dass selbst bei unterstelltem Eingriff in das Grundrecht des Art. 5 GG, der Fall einer Abwägung nicht zugänglich sei, da der Pressefreiheit durch die Schranken der §§ 50 und 51 UrhG bereits hinreichend Rechnung getragen sei.

Kann die Pressefreiheit das Urheberrecht einschränken?

Das BVerfG scheint sich dieser Argumentation nicht so sicher zu sein wie die Vorinstanzen. Daher richtet es an den EuGH insbesondere die Fragen

  • ob eine widerrechtliche Verletzung eines Urheberrechts, weil das Recht zur Vervielfältigung und zur öffentlichen Wiedergabe oder Schrankenregelungen der Berichterstattung über Tagesereignisse und des Zitatrechts im Lichte der Pressefreiheit auszulegen und anzuwenden sind, und die von der Beklagten geltend gemachte Behinderung der Informationsfreiheit und der Pressefreiheit durch das Urheberrecht an den UdP schwerer wiegt als der Schutz von Verwertungsinteressen und Geheimhaltungsinteressen der Klägerin,
  • ob die Vorschriften des Unionsrechts Umsetzungsspielräume im nationalen Recht lassen und
  • ob die Grundrechte der Informationsfreiheit und der Pressefreiheit Einschränkungen des Urheberrechts auf Basis einer allgemeinen Interessenabwägung und außerhalb der gesetzlichen Schrankenregelungen ermöglichen.

Wegebnend wird dabei vor allem die zweite Vorlagefrage sein, da ohne nationalen Umsetzungsspielraum Verletzungen nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts allein an den ein einschlägigen Vorschriften des Unionsrechts zu messen wären, namentlich also Art. 11 Abs. 1 und 17 Abs. 2 der EU-Grundrechtecharta sowie Art. 2 a), 3 Abs. 1, 5 Abs. 3 c) und d) der Richtlinie 2001/29/EG zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft. Dies war von den Vorinstanzen nicht in Betracht gezogen worden. Die erste und dritte Vorlagefrage fordern dem EuGH dagegen eine allgemeine Stellungnahme zur Bedeutung und Tragweite der Pressefreiheit sowie ihrem Verhältnis zum Urheberrecht ab.

Mit Interesse wird dabei zu verfolgen sein, ob der EuGH vielleicht seine Kriterien zur Abwägung von Pressefreiheit und Allgemeinen Persönlichkeitsrecht heranzieht, da auch das Urheberrecht (urheber-)persönlichkeitsrechtliche Aspekte beinhaltet. Hierfür existiert bereits eine dezidierte Rechtsprechung auf europäischer Ebene, die der Presse Freiheiten aber auch Grenzen einräumt. Interessant ist das vor allem deshalb, weil der Fall ersichtlich nicht auf eine solche Abwägung und die dabei maßgeblichen Kriterien zugeschnitten ist: Es scheint zumindest für den Betrachter so, als würde das Urheberrecht nur vordergründig herangezogen werden, um ein Mittel gegen die Veröffentlichung zu haben, während es hintergründig um Aspekte der Geheimhaltung geht, die bereits einschlägig im Cicero-Fall entschieden sind.