Gleich zwei Entscheidungen fällte der BGH am 27. Juli 2020 zum sog. „Recht auf Vergessenwerden“, das Betroffenen unter anderem einen Anspruch darauf gewährt, dass ihre personenbezogenen Daten von Datenverarbeitern wie zum Beispiel Suchmaschinenbetreibern gelöscht werden. Dieses Recht gilt jedoch nicht uneingeschränkt, sondern wird vielmehr von einer Reihe Faktoren bedingt, die in eine Abwägung einzubringen sind. Das unterstreichen auch die beiden Entscheidungen des BGH – mit einer Zurückweisung des Anspruchs in einem Fall und einer Vorlage an den Europäischen Gerichtshof im anderen.
Im ersten Verfahren (Verfahren VI ZR 405/18) ging es um den Geschäftsführer eines Regionalverbandes einer Wohlfahrtsorganisation, der im Jahr 2011 ein finanzielles Defizit von knapp einer Million Euro aufgewiesen hatte. Darüber, und dass der Geschäftsführer sich kurz zuvor krank gemeldet hatte, hatte die regionale Tagespresse unter voller Namensnennung berichtet. Die Presseartikel sind bei Eingabe des Namens des früheren Geschäftsführers auch heute noch über die Internetsuchmaschine Google abrufbar. Mit seinem Begehren, die Presseberichte über die Suchergebnisse nicht mehr seinem Namen zuzuweisen, war der Betroffene sowohl gegenüber Google als auch auf dem erst- und zweitinstanzlichen Klageweg gescheitert. Auch der BGH wies den auf Art. 17 Abs. 1 Datenschutz-Grundverordnung gestützten Anspruch nunmehr in der Revision zurück. Dieser Anspruch, der vor dem Hintergrund des Grundrechts auf Schutz personenbezogener Daten und der informationallen Selbstbestimmung einerseits und der grundrechtlich geschützten Interessen der Allgemeinheit auf Informationszugang sowie den Interessen der Anbieter andererseits eine umfassende Grundrechtsabwägung voraussetze, sei vorliegend nicht gegeben. Insbesondere seien auf Anbieterseite nicht nur die vorwiegend wirtschaftlichen Interessen von Google zu berücksichtigen, sondern auch die Meinungsfreiheit der durch die Entscheidung belasteten Inhalteanbieter als unmittelbar betroffenes Grundrecht, obwohl der Anspruch nicht unmittelbar diesen gegenüber geltend gemacht werde. Daher, so der BGH, gelte auch keine Vermutung eines Vorrangs der Schutzinteressen des Betroffenen, sondern die Grundrechte stünden sich zunächst gleichberechtigt gegenüber. Die Abwägung im konkreten Fall ergebe vorliegend aber einen Vorrang der Interessen der Öffentlichkeit und der Presse. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass der BGH dabei ausdrücklich nicht mehr an seiner bisherigen Rechtsprechung festhält, sondern klarstellt, dass aus dem Gebot der gleichberechtigten Abwägung folge, dass der Verantwortliche einer Suchmaschine nicht erst dann tätig werden muss, wenn er von einer offensichtlichen und auf den ersten Blick klar erkennbaren Rechtsverletzung des Betroffenen Kenntnis erlangt.
Im zweiten Verfahren (VI ZR 476/18) ging es demgegenüber über die Auslistung eines Beitrag auf einer Webseite eines US-amerikanischen Unternehmens, dessen Ziel es nach eigenen Angaben ist, „durch aktive Aufklärung und Transparenz nachhaltig zur Betrugsprävention in Wirtschaft und Gesellschaft beizutragen“, durch Google. Geklagt hatte eine Ehepaar, welches führende Positionen im Bereich Finanzdienstleistungen bekleidet und von einer kritischen Berichterstattung über Anlagemodelle auf der besagten Webseite namentlich mitsamt von Fotos betroffen war. Die Kläger machten dabei unter anderem geltend, dass es es sich um eine Webseite handele, die gegen die Zahlung eines Schutzgeldes die Löschung der kritischen Berichte anbiete, wovon auch das Ehepaar betroffen gewesen sei. Google verweigerte das Auslisten der Beiträge aus den Suchergebnissen vor allem mit dem Hinweis darauf, dass der Wahrheitsgehalt der Berichterstattung nicht nachgewiesen werden könne. Klage und die Berufung blieben ohne Erfolg. Der BGH hat die Sache nunmehr zur Klärung an den EuGH verwiesen. Dieser solle im Wege der Vorabentscheidung klären, ob es mit den Rechten des Betroffenen auf Achtung seines Privatlebens und auf Schutz der ihn betreffenden personenbezogenen Daten vereinbar ist, bei der im Rahmen von Art. 17 Abs. 3 Buchst. a DS-GVO vorzunehmenden Abwägung dann, wenn der auszulistende Inhalt Tatsachenbehauptungen und auf Tatsachenbehauptungen beruhende Werturteile enthält, deren Wahrheit der Betroffene in Abrede stellt und dessen Rechtmäßigkeit mit der Frage der Wahrheitsgemäßheit der in ihm enthaltenen Tatsachenbehauptungen steht und fällt, maßgeblich auch darauf abzustellen, ob der Betroffene in zumutbarer Weise – z.B. durch eine einstweilige Verfügung – Rechtsschutz gegen den Inhalteanbieter erlangen und damit die Frage der Wahrheit des vom Suchmaschinenverantwortlichen nachgewiesenen Inhalts einer zumindest vorläufigen Klärung zuführen könnte. Zum anderen bittet der BGH um Antwort auf die Frage, ob im Falle eines Auslistungsbegehrens gegen den Verantwortlichen eines Internet-Suchdienstes, der bei einer Namenssuche nach Fotos von natürlichen Personen sucht, die Dritte im Zusammenhang mit dem Namen der Person ins Internet eingestellt haben, und der die von ihm aufgefundenen Fotos in seiner Ergebnisübersicht als Vorschaubilder („thumbnails“) zeigt, im Rahmen der nach Art. 12 Buchst. b und Art. 14 Abs. 1 Buchst. a DS-RL / Art. 17 Abs. 3 Buchst. a DS-GVO vorzunehmenden Abwägung der widerstreitenden Rechte und Interessen aus Art. 7, 8, 11 und 16 GRCh der Kontext der ursprünglichen Veröffentlichung des Dritten maßgeblich zu berücksichtigen ist, auch wenn die Webseite des Dritten bei Anzeige des Vorschaubildes durch die Suchmaschine zwar verlinkt, aber nicht konkret benannt und der sich hieraus ergebende Kontext vom Internet-Suchdienst nicht mit angezeigt wird.
Die Pressemitteilung des BGH ist hier abrufbar .