Mit heute veröffentlichten Beschlüssen vom 18. Dezember 2018 hat das Bundesverfassungsgericht die Regelungen zur automatisierten Kraftfahrzeugkennzeichenkontrolle wie sie in den Polizeigesetzen der Länder Bayern (- 1 BvR 142/15 -) sowie Baden-Württemberg und Hessen (- 1 BvR 2795/09 – und – 1 BvR 3187/10 -) verankert sind, für teilweise unvereinbar mit dem Grundgesetz erklärt: Eine automatisierte Kraftfahrzeugkennzeichenkontrolle begründe Eingriffe in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung aller Personen, deren Kennzeichen in die Kontrolle einbezogen werden, auch dann, wenn das Ergebnis zu einem „Nichttreffer“ führt und die Daten sogleich gelöscht werden. Damit wich das BVerfG von seiner bisherigen Rechtsprechungslinie, wie sie noch 2008 vertreten wurde (BVerfG 1 BvR 2074/05 (Erster Senat) – Urteil vom 11. März 2008) ab. 

In den ähnlich gelagerten Fällen ging es um die landesrechtlichen Gefahrenabwehrregelungen zur Kennzeichenüberwachung durch automatisierte Kennzeichenlesesysteme durch die Polizei. Dabei werden Kennzeichen von vorbeifahrenden Autos erfasst, kurzzeitig gemeinsam mit Angaben zu Ort, Datum, Uhrzeit und Fahrtrichtung gespeichert und mit Kennzeichen aus dem Fahndungsbestand abgeglichen. Ergibt der Abgleich des Kennzeichens keinen Treffer, wird der Datensatz zusammen mit dem erfassten Kennzeichen unverzüglich und automatisch gelöscht; bei Treffern bleiben die Daten gespeichert und es werden ggf. weitere Ermittlungsschritte eingeleitet. Anders als nach der Verwaltungspraxis in Bayern wird bei Erstellung der Abgleichdatei in Baden-Württemberg und Hessen nicht nach dem Zweck der Kennzeichenkontrolle unterschieden. Gegen die jeweiligen Regeln, die potentiell alle vorbeifahrenden Fahrzeuge betreffen können, hatten Fahrzeughalter aus den jeweiligen Ländern Verfassungsbeschwerde erhoben. 

Das BVerfG hat den Verfassungsbeschwerden teilweise stattgegeben. 

Bereits die formelle Verfassungsmäßigkeit wurde dabei teils verneint: Zwar handele es sich grundsätzlich um Regelungen des Gefahrenabwehrrechts, für das die Länder die Gesetzgebungskompetenz inne haben, auch wenn die Ergebnisse der Datenerhebung grundsätzlich auch zu Strafverfolgungszwecken – einer grundsätzlich bundesrechtlichen Regelungsmaterie – genutzt werden. Kompetenzwidrig seien die bayerischen Regelungen jedoch insofern, als sie Kennzeichenkontrollen unmittelbar zum Grenzschutz erlauben, und die Regelungen in Baden-Württemberg insofern, als sie Kennzeichenkontrollen zur Unterstützung von polizeilichen Kontrollstellen und Kontrollbereichen erlauben, die zur Fahndung nach Straftätern und damit zur Strafverfolgung eingerichtet werden. Die hessischen Regelungen seien wegen Verstoß gegen das Zitiergebot (Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG) formell verfassungswidrig, soweit sie an polizeiliche Kontrollstellen anknüpfen, die zur Verhütung versammlungsrechtlicher Straftaten eingerichtet sind (Art. 8 GG). 

Hinsichtlich der materiellen Verfassungsmäßigkeit stellte das BVerfG einen rechtswidrigen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ( Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG ) fest. Dabei legt das BVerfG zunächst allgemeine Anforderungen fest, denen Ermächtigungsgrundlagen zur automatisierten Kennzeichenkontrolle vor dem Hintergrund der Grundrechte genügen müssen: 

  1. Polizeiliche Kontrollen zur gezielten Suche nach Personen oder Sachen im öffentlichen Raum setzen danach grundsätzlich einen objektiv bestimmten und begrenzten Anlass voraus. Ihre Durchführung zu beliebiger Zeit und an beliebigem Ort ins Blaue hinein seimit dem Rechtsstaatsprinzip grundsätzlich unvereinbar. Der Gesetzgeber habe eine Eingriffsschwelle vorzugeben, durch die das staatliche Handeln an anlassbezogene, vorhersehbare und kontrollierbare Voraussetzungen gebunden wird. .
  2. Kennzeichenkontrollen müssen weiterhin durch einen im Verhältnis zum Grundrechtseingriff hinreichend gewichtigen Rechtsgüterschutz gerechtfertigt sein, also dem Schutz von Rechtsgütern von zumindest erheblichem Gewicht oder sonst einem vergleichbar gewichtigen öffentlichen Interesse wie etwa Leib, Leben und Freiheit der Person und der Bestand und die Sicherheit des Bundes und der Länder dienen. 
  3. Schließlich müsse sich die gesetzliche Ausgestaltung in einer Gesamtabwägung als zumutbar im Hinblick auf das Recht auf informationelle Selbstbestimmung erweisen, insbesondere Anforderungen an Transparenz, individuellen Rechtsschutz und aufsichtsrechtliche Kontrolle erfüllt werden sowie Regelungen zur Datennutzung und -löschung getroffen sein.

Diesen Anforderungen genügten die streitgegenständlichen Regelungen aus Bayern, Baden-Württemberg und Hessen nicht vollumfänglich. Die Regelungen wurden insoweit als verfassungswidrig bewertet, als die Kontrollen nicht auf den Schutz von Rechtsgütern von zumindest erheblichem Gewicht beschränkt sind und als Mittel der Schleierfahndung keinen hinreichend bestimmten Grenzbezug aufweisen. Zudem müssten die Vorschriften zum Abgleich der erfassten Kennzeichen verfassungskonform einschränkend so ausgelegt werden, dass jeweils nur die Fahndungsbestände zum Abgleich herangezogen werden dürfen, die zur Abwehr der Gefahr geeignet sind, die Anlass der jeweiligen Kennzeichenkontrolle ist. Im Übrigen fehle es den bayerischen Regelungen an einer Pflicht zur Dokumentation der Entscheidungsgrundlagen.

Das BVerfG hat die verfassungswidrigen Vorschriften größtenteils übergangsweise für weiter anwendbar erklärt, längstens jedoch bis zum 31. Dezember 2019.

Die Beschlüsse sind hier abrufbar: 

https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2018/12/rs20181218_1bvr014215.html

https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2018/12/rs20181218_1bvr279509.html