„Der 24. Februar 2022 markiert eine Zeitenwende – auch für das Medienrecht“ – mit dieser Prämisse leitete Dr. Jörg Ukrow, geschäftsführendes Vorstandsmitglied des EMR, seinen Vortrag zum Thema „Durchsetzung von Medienrecht vor neuen Herausforderungen – Cyberattacken, Hasskriminalität, Kriegspropaganda und eine neue digitale Grundordnung für ein souveränes, wehrhaftes Europa“ im heutigen Webinar ein.

Diese Zeitenwende, ausgelöst durch den russischen Angriff auf die Ukraine, ordnete Ukrow zunächst in den völkerrechtlichen Kontext – unter Hinweis auf Verstöße Russlands gegen das völkerrechtliche Gewaltverbot und menschenrechtliche Vorgaben sowie bereits erfolgte Reaktionen seitens der UN-Generalversammlung und des Internationalen Gerichtshofs – sowie verfassungsrechtliche Fragen an den Schnittstellen von verfassungsrechtlichem Normalzustand bis zum Verteidigungsfall ein. Im Hinblick auf die primärunionsrechtliche Einordnung wies er insbesondere daraufhin, dass es im Bereich der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik Mittel gäbe, die auch im medialen Kontext grundsätzlich nutzbar gemacht werden könnten, wobei aber Grenzen der Grundrechte und Kompetenzen zu beachten seien. Möglicherweise, so Ukrow, könne vor dem Hintergrund der aktuellen Lage aber eine andere Gewichtung erforderlich sein, insbesondere in Bezug auf eine größere Relevanz von Ausnahmeklauseln zu Grundfreiheiten, die Auslegung der Grundrechtecharta, das Subsidiaritätsprinzip und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Das gelte sowohl bei Anwendung bestehenden EU-Rechts als auch bei Schaffung neuen Sekundärrechts.

Auf Basis dieser Einordnung ging Ukrow sodann näher auf die auf die Angebote von RT und Sputnik bezogene Verordnung (EU) 2022/350 über restriktive Maßnahmen angesichts der Handlungen Russlands, die die Lage in der Ukraine destabilisieren, ein. In Bezug auf die Frage, ob sich eine solche Inhalteregulierung der EU als  Überschreitung von Kompetenzen und Verletzung von Grundrechten darstellen könne, verwies er darauf, dass es zunächst keine generelle Bereichsausnahme in Bezug auf Inhalteregulierung für die EU gebe. Unabhängig davon sei auch die grundrechtliche Bindung der handelnden Akteure zu beachten: Für jedwede Sanktionen gelten die von der Informations- und Meinungsfreiheit gesetzten Grenzen; die Unterbindung von medialer Friedensgefährdung sei allerdings als zwingender Grund des Gemeinwohls anzuerkennen, der Beschränkungen von Grundrechten wie Grundfreiheiten rechtfertige. Offene Fragen im Zusammenhang mit der Verordnung sah Ukrow insbesondere in Bezug auf die benutzten unbestimmten Rechtsbegriffe sowie bei der (bislang ungeklärten) Frage der Überprüfung der Einhaltung der Verordnung. Zur Frage der Erfolgsaussichten des Rechtsschutzes, den RT France derzeit vor dem EuG sucht (T-125/22), ging Ukrow näher auf das (antragsabweisende) Urteil des EuG vom 15. Juni 2017 in der Rechtssache Kiselev/Rat (Rs. T 262/15) ein und zog Parallelen zum aktuellen Hintergrund – nicht zuletzt mit Blick auf Schranken des Grundrechtsschutzes bei Propaganda-Aktivitäten eines staatlich dominierten Akteurs.

Unter einem weiteren Aspekt aktueller Herausforderungen der Durchsetzung von Medienrecht widmete sich Ukrow der bislang auf EU-Ebene fehlenden Einordnung von Medien als kritische Infrastrukturen in Krisensituation. Zwar seien Medien bislang nicht oder nur sehr partiell von den entsprechenden KRITIS-Regelungen auf EU-Ebene erfasst. Es bestehe aber grundsätzlich eine Vergleichbarkeit mit der Bedeutung geschützter technischer Infrastruktur wegen der essentiellen demokratischen Bedeutung der Medien, die möglicherweise einen Bedarf nach Neujustierung der Cybersicherheits-Regulierung der EU hervorrufe. Dass es auch anders gehe, zeige etwa das Vorbild der Screening-Verordnung (EU) 2019/452.

Im Zusammenhang mit der Frage nach einer staatsfernen effektiven Rechtsdurchsetzung widmete sich Ukrow schließlich der Frage, ob die derzeitigen Leitplanken reformbedürftig sind und ging dabei auf (völker- und strafrechtliche) Grenzen im grenzüberschreitenden Bereich auch vor dem Hintergrund des Herkunftslandprinzips ein.  Er veranschaulichte die Problematiken anhand von Beispielen aus dem Jugendmedienschutzrecht und dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz. Zuletzt verwies er auf mögliche Vorbilder für eine zukunftsorientierte Medienregulierung im Mehrebenensystem aus dem (neuen) Glücksspielrecht. Das Motto „in Vielfalt vereint“ könne auch stärker als bislang für die sektorübergreifende Zusammenarbeit von Verbünden von Regulierungsbehörden fruchtbar gemacht werden, um über ein solches kooperatives und koordiniertes Miteinander die Erreichung von grundwerteorientierten Schutzzwecken zu verbessern.

Die Präsentationsfolien von Herrn Dr. Ukrow sind hier abrufbar: Durchsetzung von Medienrecht vor neuen Herausforderungen

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