Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat mit heutigem Urteil vom 27. Februar 2018 (Az. 2 BvE 1/16) die negative Bewertung einer politischen Veranstaltung einer Partei durch staatliche Organe, die geeignet ist, abschreckende Wirkung zu entfalten und dadurch das Verhalten potentieller Veranstaltungsteilnehmer zu beeinflussen, als einen Eingriff in das Recht der betroffenen Partei auf Chancengleichheit aus Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG eingestuft. 

Der Entscheidung liegt ein Rechtsstreit um eine Pressemitteilung der Bundesbildungsministerin Johanna Wanka zugrunde. Die Ministerin hatte im Vorfeld der von der Partei « Alternative für Deutschland » (AfD) geplanten Veranstaltung « Rote Karte für Merkel! – Asyl braucht Grenzen! » im November 2015 auf der Internetseite des Bundesbildungsministeriums eine Pressemitteilung folgenden Inhalts veröffentlicht: « Die Rote Karte sollte der AfD und nicht der Bundeskanzlerin gezeigt werden. Björn Höcke und andere Sprecher der Partei leisten der Radikalisierung in der Gesellschaft Vorschub. Rechtsextreme, die offen Volksverhetzung betreiben wie der Pegida-Chef Bachmann, erhalten damit unerträgliche Unterstützung. » Hieraufhin hatte die AfD im Wege der einstweiligen Anordnung gegenüber dem Bundesministerium die Entfernung der Pressemitteilung von der Webseite geltend gemacht, der das BVerfG mit seiner Entscheidung vom 7. November 2015 (BVerfGE 140, 225) stattgegeben hat. Obgleich das Ministerium dieser Anordnung nachgekommen ist, begehrte die AfD nunmehr im Hauptsacheverfahren die Feststellung, dass durch die Pressemitteilung ihre Rechte auf gleichberechtigte Teilnahme am politischen Wettbewerb und auf Versammlungsfreiheit aus Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG verletzt worden sind.

Auch diesem Begehren hat das BVerfG stattgegeben. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus, dass eine freiheitliche Demokratie einen freien, offenen und unbeeinflussten Willensbildungsprozess der Wähler sowie eine parteipolitische Neutralität des Staates voraussetze. Art. 21 Abs. 1 GG garantiere aus diesem Grund den politischen Parteien auch das Recht, dass eine Mitwirkung an der politischen Willensbildung, auf der Basis gleicher Rechte und gleicher Chancen erfolgt, wovon auch das Recht auf Teilnahme am politischen Wettbewerb durch die Veranstaltung von Kundgebungen erfasst und insbesondere für Oppositionsparteien ein wichtiges Mittel des politischen Meinungskampfes sei. Die chancengleiche Beteiligung an der politischen Willensbildung des Volkes mache es daher erforderlich, dass Staatsorgane – auch außerhalb von Wahlkampfzeiten – im politischen Wettbewerb der Parteien Neutralität wahren. Die Abgabe von Werturteilen seitens staatlicher Organe aus Anlass einer politischen Kundgebung einer Partei sei mit diesen Grundsätzen nicht vereinbar. Hiervon entbinde auch die Befugnis zur Informations- und Öffentlichkeitsarbeit nicht, insbesondere weil staatliche Organe ansonsten ihre Autorität und ihren Zugriff auf staatliche Ressourcen für die nachhaltige Einwirkung auf die politische Willensbildung des Volkes nutzen könnten. Zwar sei es auch seitens staatlicher Organe möglich, gegen ihre Politik gerichtete Angriffe öffentlich zurückzuweisen, jedoch nur mit  der gebotenen Sachlichkeit und nicht im Sinne eines « Rechts auf Gegenschlag“. Diesen Maßstäben – so das BVerfG weiter – habe die Pressemitteilung nicht entsprochen, da ihr insbesondere keine erläuternden Informationen aus einer Auseinandersetzung mit der Materie zu entnehmen seien und es an jeglicher sachlicher Aufarbeitung von gegen das Handeln der Bundesregierung oder der Bundeskanzlerin gerichteten Vorwürfen fehle. Solche Handlungen, die sich vor allem wegen der Verwendung des Dienstwappens und damit einer amtlichen Ressource als Wahrnehmung eines  Regierungsamtes darstellten, seien mit den Grundsätzen aus Art. 21 Abs. 1 GG unvereinbar. 

 

Die Pressemitteilung Nr. 10/2018 des BVerfG vom 27. Februar 2018 ist abrufbar unter:

http://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2018/bvg18-010.html

Das Urteil des BVerfG ist abrufbar unter:

http://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2018/02/es20180227_2bve000116.html