Mit gleich zwei Beschlüssen hat das Bundesverfassungsgericht am 23. Juni 2020 die Pressefreiheit gestärkt. Obwohl die Verfahren ganz unterschiedliche Sachverhalte betrafen betonte das BVerfG in beiden Fällen die Bedeutung des Schutzes einer freien Presse vor dem Hintergrund der demokratischen Willensbildung.
Im ersten Verfahren (1 BvR 1716/17) ging es um die Verfassungsbeschwerde gegen eine strafrechtliche Verurteilung, die aufgrund der Weitergabe einer unverpixelten Bildaufnahme an eine Presseredaktion ergangen war. Gegenstand war eine Fotoaufnahme, die einen dunkelhäutigen Patienten im Wartebereich eines Universitätsklinikums zeigt und die vom fotografierenden Journalisten trotz Aufforderung durch den Abgebildeten und das Klinikpersonal nicht gelöscht worden war. Die Aufnahme wurde nach Weitergabe durch den Fotojournalisten unverpixelt in der Onlineausgabe einer großen deutschen Tageszeitung veröffentlicht. Der zugehörige Bericht sollte unzureichende Sicherheitsvorkehrungen des Klinikums in Ebola-Verdachtsfällen dokumentieren – ein Thema, das zum damaligen Zeitpunkt die in der Öffentlichkeit breite Aufmerksamkeit erfahren hatte. Der Fotojournalist wurde von den zuständigen Strafgerichten wegen unbefugten Verbreitens eines Bildnisses gemäß §§ 33, 22 f. KunstUrhG zu einer Geldstrafe verurteilt. Die Begründung: Zwar handele es sich um ein Bildnis aus dem Bereich der Zeitgeschichte. Eine befugte Verwendung oder Verbreitung des Bildnisses hätte jedoch eine weitergehende Verfremdung und Unkenntlichmachung vorausgesetzt, zumal von der Veröffentlichung in Anbetracht der Darstellungsweise und der hohen Auflagenzahl eine besondere Prangerwirkung ausgegangen sei. Die unverpixelte Veröffentlichung sei dem Beschwerdeführer auch zuzurechnen, weil er die bebilderte Berichterstattung selbst veranlasst und angestrebt habe. Es hätte ihm daher oblegen, die Unkenntlichmachung in geeigneter Weise sicherzustellen. Das BVerfG sah darin allerdings eine Verletzung der Pressefreiheit und gab der eingereichten Verfassungsbeschwerde des Fotojournalisten gegen seine Verurteilung daher statt. Zwar unterlägen Pressefotografen und Journalisten gewissen – auch strafrechtlich bewehrten – Sorgfaltspflichten und dürften dabei ggf. die Entstehungsumstände von Bildmaterial nicht gegenüber Presseredaktionen verschweigen. Allerdings, so das BVerfG, seien grundrechtliche Belange von den Strafgerichten nicht ausreichend einbezogen worden. Insbesondere sei die notwendige Trennung zwischen Weitergabe der Bilder und Veröffentlichung der Bilder nicht vorgenommen und Arbeits- und Verantwortungsstrukturen der Presse und vorangehender Recherchen nicht ausreichend berücksichtigt worden, welche gerade nicht auf eine achtlose, konkret interessenverletzende und damit rechtswidrige Weitergabe der Bildaufnahmen hinwiesen. Die fehlende Verpixelung der Bildaufnahmen sei kein Umstand, aus dem sich eine Verletzung von Sorgfaltspflichten im Zeitpunkt der Weitergabe ergeben könne. Pressefotografen und Journalisten müsse es möglich sein , ohne Furcht vor Strafe unverpixeltes Bildmaterial an Redaktionen zu liefern. Anderes könne nur gelten, wenn im Zuge der Weitergabe Umstände verschwiegen werden, die für die von den Redaktionen zu verantwortende Entscheidung über eine Unkenntlichmachung erheblich sind, was aber im vorliegend Fall gerade nicht von den Strafgerichten festgestellt worden war.
Im zweiten Verfahren (1 BvR 1240/14) ging es dagegen um die Zulässigkeit einer Berichterstattung über lange zurückliegende Fehltritte öffentlich bekannter Personen, insbesondere also um das sog. Recht auf Vergessenwerden. Streitgegenständlich war ein Mitte 2011 veröffentlichter Porträtbeitrag über den Vorstandsvorsitzenden eines bekannten Wirtschaftsunternehmens, in dessen Rahmen neben einer wirtschaftsperspektivischen Berichterstattung über das Unternehmen, dessen Besetzung, Entwicklung und Liquidität auch auf den Täuschungsversuch des Vorstandsvorsitzenden in seinem ersten juristischen Staatsexamen hingewiesen wurde sowie auf einen weiteren Strafprozess im Zusammenhang mit der Bestechung einer Gutachterin. Auf Klage des Betroffenen untersagten die Zivilgerichte die Erwähnung des Täuschungsversuchs in dem Bericht. Zwar müsse man die Mitteilung wahrer Tatsachen aus der Sozialsphäre in weitem Umfang hinnehmen. Der Betroffene werde jedoch durch die Mitteilung als ein Mensch dargestellt, dem unredliche Methoden nicht wesensfremd seien. Ein konkreter Anlass für das neuerliche Aufgreifen des Täuschungsversuchs habe nicht bestanden und daher dürfe der Betroffene wegen dieses längst vergangenen Fehlverhaltens nicht dauerhaft an den Pranger gestellt werden. Anders sah das allerdings das BVerfG und gab der Verfassungsbeschwerde des Zeitungsverlages statt. Eine wahrhafte Berichterstattung über Umstände des sozialen und beruflichen Lebens sei vom Betroffenen hinzunehmen. Die „Chance auf Vergessenwerden“, die das Grundgesetz gewährleiste, dürfe nicht zur Einschränkung der Presse führen, in ihrer Berichterstattung auch auf unliebsame Umstände hinzuweisen. Das Berichterstattungsinteresse erlösche nicht schematisch durch Zeitablauf, sondern müsse anhand des konkreten Einzelfalls beurteilt werden, wobei diese Beurteilung maßgeblich Aufgabe der Presse selbst sei, insbesondere, welche Umstände und Einzelheiten sie im Zusammenhang eines Berichts für erheblich halte. Das gelte auch, so das BVerfG, unter den Verbreitungsbedingungen des Internets. Im vorliegenden Fall sei jedenfalls nicht erkennbar, dass die Erwähnung des Täuschungsversuchs geeignet wäre, das Gesamtbild einer Person zu dominieren und ein selbstbestimmtes Privatleben des Betroffenen ernstlich zu gefährden oder es sich um eine nach ihrer Form und Hartnäckigkeit unzumutbar anprangernde Art der Berichterstattung handele.