In einem Urteil vom 26. Juni 2018 (Antrag Nr. 50376/09) im Fall Gîrleanu gegen Rumänien hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte einstimmig eine Verletzung von Art. 10 EMRK seitens dieses EU-Mitgliedstaates durch die Verhaftung und Verurteilung eines Journalisten festgestellt, der geheime Informationen einer rumänischen Militäreinheit in Afghanistan über die nationale Sicherheit besaß und versuchte, diese zu überprüfen.
Gîrleanu, ein rumänischer Staatsbürger, war ein lokaler Korrespondent für die nationale Tageszeitung România Liberă. Sein Arbeitsgebiet umfasste Ermittlungen in den Streitkräften und bei der Polizei.
Im Februar 2006 leitete die Staatsanwaltschaft eine Strafuntersuchung gegen Herrn Gîrleanu wegen seines Umgangs mit geheimen Dokumenten zu einer rumänischen Militäreinheit in Afghanistan ein. Die Dokumente waren ursprünglich im Jahr 2004 durchgesickert und hatten in den Folgejahren in den Medien viele Diskussionen ausgelöst. Obwohl in Presse und Rundfunk Rumäniens die Leaks diskutiert wurden, wurde der tatsächliche Inhalt der Dokumente nie veröffentlicht.
Die Untersuchung ergab, dass ein Journalist, der auf das Militär spezialisiert war, Herrn Gîrleanu im Juli 2005 eine Kopie der geleakten Dokumente überreicht hatte. Dieser hatte dann versucht, die Informationen bei den rumänischen Streitkräften und Geheimdiensten zu überprüfen. Nachdem diese nicht bestätigten, dass das Material echt sei, teilte Girleanu die Dokumente mit zwei Personen, die er für ehemalige Polizeibeamte und andere Journalisten hielt.
Während der Untersuchung wurde sein Telefon angezapft, er wurde verhaftet und die Festplatte seines Computers beschlagnahmt. Er wurde nach zwei Tagen Polizeigewahrsam entlassen.
Im August 2007 befand ihn die Staatsanwaltschaft für schuldig, geheime Informationen gesammelt und weitergegeben zu haben, was einen Verstoß gegen den Rechtsrahmen für die nationale Sicherheit darstelle. Da die Staatsanwaltschaft feststellte, dass die Informationen veraltet waren und ihre Offenlegung die nationale Sicherheit nicht gefährdet hätte, entschied sie, dass es nicht notwendig sei, die strafrechtlichen Ermittlungen weiter zu verfolgen, und klagte Herrn Gîrleanu nicht an. Er wurde stattdessen verurteilt, eine Geldstrafe in Höhe von 800 Rumänischen Lei (etwa 240 Euro) zu zahlen.
In der Zwischenzeit, im Juli 2007, wurden die Dokumente der rumänischen Armee, die Gegenstand der Untersuchung waren, deklassifiziert.
Herr Gîrleanu legte bei den rumänischen Gerichten erfolglos Beschwerden gegen die an ihn gerichteten Entscheidung ein. Die Gerichte stellten insbesondere fest, dass er schuldig war, Informationen weitergegeben zu haben, die das Militär in Gefahr gebracht haben könnten.
Der EGMR war der Ansicht, dass eine Festnahme, eine strafrechtliche Untersuchung und eine Geldbuße im Rahmen einer journalistischen Untersuchung, wie sie im Fall von Herrn Gîrleanu stattgefunden hatte, einen Eingriff in sein Recht auf freie Meinungsäußerung darstellt. Der Gerichtshof räumte ein, dass dieser Eingriff eine Rechtsgrundlage im innerstaatlichen Recht gehabt habe, nämlich den rechtlichen Rahmen, der vorsehe, dass niemand das Recht habe, geheime Aktivitäten in Bezug auf die nationale Sicherheit öffentlich zu machen, und dass er das legitime Ziel verfolgt habe, die Offenlegung vertraulicher Militäroperationen in einer Konfliktzone zu verhindern.
Der EGMR war jedoch nicht davon überzeugt, dass die Sammlung und der Austausch der Informationen von Herrn Gîrleanu zu erheblichen Schäden für die nationale Sicherheit geführt hätten. Er verwies insoweit auf die Begründung des Verzichts auf die Erhebung einer Anklage und darauf, dass die fraglichen Dokumente im Juli 2007, kurz bevor die Ermittlungen gegen Herrn Gîrleanu beendet worden seien, tatsächlich freigegeben worden seien.
Vor dem Hintergrund der Mediendebatte in Rumänien, der Diskussionen im Senat und der internen Militäruntersuchung, die zu einer Reihe von Disziplinarmaßnahmen geführt hatten, hatten die Dokumente Fragen von öffentlichem Interesse aufgeworfen.
Außerdem habe Herr Gîrleanu die Dokumente nicht mit rechtswidrigen Mitteln erhalten, und der erste Schritt, den er gemacht habe, nachdem er in den Besitz der Informationen gelangt war, war, ihn mit den rumänischen Streitkräften zu besprechen, die offenbar nicht versuchten, die Dokumente zurückzuerlangen oder vor den Gefahren der Offenlegung zu warnen.
Keiner dieser Aspekte des Verhaltens von Herrn Gîrleanu wurde jedoch von den innerstaatlichen Gerichten bei der Analyse seines Falles berücksichtigt. Sie hatten auch nicht überprüft, ob die Informationen tatsächlich eine Bedrohung für die militärischen Strukturen darstellen konnten. Sie hatten auch die Feststellung des Staatsanwalts über die Unwahrscheinlichkeit einer die nationale Sicherheit gefährdenden Offenlegung ignoriert.
Obwohl die Geldbuße relativ niedrig war, wurde sie gegen Herrn Gîrleanu verhängt, obwohl er die geheimen Informationen nicht veröffentlicht hatte. Die Entscheidung, gegen Herrn Gîrleanu eine Geldbuße zu verhängen, hätte sorgfältiger abgewogen werden müssen gegen die Tatsache, dass die Dokumente in der Zwischenzeit deklassifiziert worden seien und der Staatsanwalt durch sie nicht die nationale Sicherheit gefährdet sah.
Der Gerichtshof kam daher zu dem Schluss, dass die Maßnahmen gegen Herrn Gîrleanu angesichts der Interessen einer demokratischen Gesellschaft zur Aufrechterhaltung der Pressefreiheit nicht gerechtfertigt waren.