Die Medientage München stehen in diesem Jahr unter dem Leitthema „New perspectives“. Damit soll vor allem ein Blick in die Zukunft des Medien-Ökosystems nach der Corona-Krise geworfen werden, die zwar einerseits den Informations- und Unterhaltungsbedarf erhöht, aber andererseits vor allem die Medien vor finanzielle Herausforderungen gestellt hat. Was hat sich durch Corona verändert? Welche Themen beschäftigen die Branche? Zugleich greift das Leitthema die mit der Digitalen Dekade, die die Europäische Kommission ausgerufen hat, verbundenen Herausforderungen auf. Steht am Ende dieser Dekade die beschworene digitale Souveränität Europas? Und handelt es sich hierbei um eine Souveränität, die die demokratischen und kulturellen Traditionen der Mitgliedstaaten angemessen beachtet?
Der Europatag der Medientage München, der sich in jedem Jahr vor allem auf aktuelle rechtliche Entwicklungen auf EU-Ebene fokussiert und deren praktische Bedeutung für Gestaltungsspielräume der Mitgliedstaaten wie der Medienakteure beleuchtet, begreift diese Themensetzung als Chance, die aktuellen Regulierungsüberlegungen der EU aus Perspektive des Medienvielfaltsrechts der Mitgliedstaaten zu diskutieren. Er greift die Fragen nach Kompetenzen, Konsistenz und Kohärenz der Medienregulierung in der traditionellen Kooperation des Instituts für Europäisches Medienrecht (EMR) und der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien (BLM) auf.
Die Vorschläge für Verordnungen über digitale Dienste (Digital Services Act, DSA) und über digitale Märkte (Digital Markets Act, DMA) haben zwar vorrangig die sog. Intermediäre zum Regelungsgegenstand, also Plattformen, die Inhalte Dritter bereitstellen. Sie betreffen aber auch die klassischen Medien, indem sie sowohl die Verbreitungswege als auch Wettbewerbsbedingungen im Bemühen um Zuschauer und Werbeeinnahmen adressieren. Der DSA enthält dabei Ansätze, die sich bereits in Gesetzen auf nationaler Ebene wie zum Beispiel dem deutschen Netzwerkdurchsetzungsgesetz oder dem französischen loi Avia fanden. Während sich der Europäische Aktionsplan für Demokratie, der freie und faire Wahlen fördern, Medienfreiheit und Medienpluralismus stärken sowie Desinformation bekämpfen will, und auch der Media and Audiovisual Action Plan (MAAP) als Fahrplan für die Erholung, den Wandel und die Stärkung der Widerstandsfähigkeit der Medien schon in der Phase der Umsetzung befinden, sind die Konturen des von Kommissar Thierry Breton zusätzlich angekündigten European Media Freedom Act noch ungewiss.
Dabei stellt sich vor allem die Frage, wie in Zukunft diese binnenmarktgesteuerten Regeln der EU mit bestehendem oder entstehendem nationalem Recht zur Regulierung von Medien in Einklang gebracht werden können. Erste Spannungen haben sich bereits bei der Notifizierung des Medienstaatsvertrages sowie der konkretisierenden Satzungen der Landesmedienanstalten gezeigt. Auch die Vereinbarkeit von nationalen Ansätzen zur Bekämpfung illegaler Online-Inhalte mit Unionsrecht wird derzeit gerichtlich in Frage gestellt. Dabei geht es sowohl um Kompetenzfragen als auch um eine rechtssichere Koordinierung und Kohärenz zwischen den verschiedenen Regelwerken im medienregulatorischen Mehr-Ebenen-System.
Dabei freuen wir uns sehr, dass der Europatag in diesem Jahr mit Perspektiven der nationalen wie europäischen Ebene eingeleitet wird. Wir freuen uns über Keynotes von:
MdEP Dr. Katarina Barley, Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments und Mitglied im Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres
Dr. Florian Herrmann, Leiter der Bayerischen Staatskanzlei, Staatsminister für Bundes- und Europaangelegenheiten und Medien
Věra Jourová, Vice-President for Values and Transparency, European Commission
Der Europatag der Medientage München findet als hybride Veranstaltung am 28. Oktober 2021 ab 13.40 Uhr im Isarforum (Deutsches Museum) statt und wird auf dem Conference-Stream 2 der Medientage übertragen.
Tickets für den Europatag und/oder die Medientage München können über die Webseite der Medientage als Online- oder vor-Ort-Ticket erworben werden.
Programm
13.40 Uhr |
Eröffnung des Europatages |
13.45 Uhr |
Grußwort |
14.00 Uhr |
Keynotes Věra Jourová, Vice-President for Values and Transparency, European Commission MdEP Dr. Katarina Barley, Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments und Mitglied im Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres |
14.30 Uhr |
Setting the Scene: Das Netzwerk sektoraler Medienregulierung auf EU-Ebene |
14.35 Uhr | Pause |
14.40 Uhr |
Session 1: Ist die angestrebte Digitale Grundordnung der EU mit den nationalen Medienordnungen zu vereinbaren?
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15.10 Uhr | Pause |
15.20 Uhr |
Session 2: Wie lässt sich lokale und regionale Medienvielfalt (unions-)rechtskonform sichern?
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15:50 Uhr |
Ende des Europatags |
Moderation: Prof. Dr. Stephan Ory, Direktor des Instituts für Europäisches Medienrecht (EMR) |
Session 1: Session 1: Ist die angestrebte Digitale Grundordnung der EU mit den nationalen Medienordnungen zu vereinbaren?
In der vergangenen Dekade wurden auf EU-Ebene eine Vielzahl von Rechtsakten erlassen oder aktualisiert, die erhebliche mittelbare oder unmittelbare Relevanz auch für den Mediensektor haben. Dabei stand die Bestrebung im Mittelpunkt, die rechtlichen Rahmenbedingungen fit für das digitale Zeitalter zu machen. Auch die kommende Dekade soll nach Auffassung der Kommission ganz unter dem Zeichen der Digitalisierung stehen. Mit den Vorschlägen für Verordnungen über digitale Dienste und digitale Märkte wird hier ein wichtiger und – mit Blick auf bestehende Unsicherheiten im grenzüberschreitenden digitalen Binnenmarkt – richtiger Schritt gegangen. Dabei geht es im Kern darum, die Verantwortlichkeit von Intermediären zu regeln, ihnen – abgestuft nach deren Einflussnahmemöglichkeiten auf den Binnenmarkt – aber auch, ein Mehr an Pflichten aufzuerlegen. Aus Perspektive der Medien geht es dabei aber auch um die Regulierung digitaler Verbreitungswege von Informationen und anderen Inhalten; aus Perspektive der Gesellschaft kann es etwa vor dem Hintergrund von Hate Speech und Desinformation allerdings auch um Meinungs- und Informationsfreiheit, Persönlichkeitsrechte sowie die Aufrechterhaltung demokratischer Werte insgesamt gehen. Die Grenze zwischen der wirtschaftspolitischen Bestrebung, einem grenzüberschreitenden Markt klare und harmonisierte Regeln zu geben, und der kulturpolitischen Verantwortung, in diesem Markt demokratische und rechtsstaatliche Werte aufrechtzuerhalten, ist dabei nicht immer trennscharf zu ziehen. Das kann sich spätestens dann als problematisch erweisen, wenn die Mitgliedstaaten Regeln gegenüber Intermediären erlassen oder bereits erlassen haben etwa zum Zwecke der Vielfaltssicherung, des Schutzes demokratischer Legitimationsprozesses oder anderer öffentlicher Interessen. Dabei spielen nicht nur Kompetenz- sondern auch Kohärenz- und Koordinierungsfragen zwischen EU- und nationaler Ebene eine Rolle. Diese sollen von den Referenten aus unterschiedlichen Blickwinkeln näher beleuchtet werden.
Session 2: Wie lässt sich lokale und regionale Medienvielfalt (unions-)rechtskonform sichern?
Lokale und regionale Themen finden in überregional oder sogar global verbreiteten Medien nur in seltenen Fällen Beachtung. Deren Befassung, die damit regelmäßig lokalen und regionalen Medien überlassen bleibt, ist allerdings für die individuelle und öffentliche Meinungsbildung vor Ort unverzichtbar. Eben diese Medien, die sich vor allem durch die enge Bindung zu ihren Rezipienten auszeichnen, sind in den letzten Jahren jedoch massiv unter Druck geraten. Ihre Geschäftsmodelle funktionieren nicht mehr, Reichweiten gehen zurück und speziell die Jüngeren wenden sich anderen Medien zu. Die Pandemie, durch die Medien mit Einbußen bei Werbeeinnahmen generell, aber vor allem im lokalen und regionalen Bereich zu kämpfen hatten und haben, hat den Druck intensiviert. Daher stellt sich immer drängender die Frage, wie sich auf dieser Ebene vielfältige Informationsangebote heute und in Zukunft erhalten und finanzieren lassen. Dabei gibt es ein breites Spektrum an Fördermöglichkeiten und -modellen, die es jedoch alle rechtskonform auszugestalten gilt. Nicht nur das nationale, sondern auch das Recht der EU, vor allem das Wettbewerbs- und Beihilferecht, setzen hier Rahmenbedingungen, die auch dem noblen Ziel der medialen Vielfaltssicherung Grenzen aufzeigen. Welche (unions-)rechtskonformen Ausgestaltungsmöglichkeiten dabei in Betracht kommen und welche neuen Perspektiven in den Blick genommen werden können, diskutieren die Referenten im Rahmen dieser Session.