Am 20.1.2022 hat das Europäische Parlament über seine Positionierung zum Vorschlag für eine Verordnung über einen Binnenmarkt für digitale Dienste (Gesetz über digitale Dienste) und zur Änderung der Richtlinie 2000/31/EG abgestimmt. Mit dem mit 530 zu 78 bei 80 Enthaltungen angenommen Text wird das Parlament nun in die Verhandlungen mit dem Rat treten, um schließlich zu einer finalen Fassung für den zukünftigen Digital Services Act (DSA) zu gelangen. Schwerpunkte setzt das Parlament in seiner Positionierung gegenüber dem ursprünglichen Kommissionsvorschlag dabei vor allem im Bereich von Erleichterungen für bestimmte Plattformen, der (strengeren) Regulierung gezielter Online-Werbung und der steuernden Einflussnahme von Plattformen auf das Verhalten von Nutzer*innen (bspw. durch den Einsatz von Nudging-Techniken) oder die Auswahl von Inhalten (bspw. algorithmengesteuerte Rankingsysteme).

In seinem angenommenen Text nimmt das Parlament an vielen verschiedenen Stellen Änderungen, Konkretisierungen, Einschränkungen und Erweiterungen gegenüber dem Kommissionsvorschlag vor. Eine Konkretisierung betrifft dabei etwa die als sog. „Good Samaritan Clause“ diskutierte Regelung des Art. 6, die sicherstellen will, dass Vermittlungsdienste, die freiwillige Maßnahmen gegen illegale Inhalte ergreifen, nicht einen Verlust ihrer Haftungsprivilegien befürchten müssen. Das Parlament ergänzt diese Regel signifikant um den Zusatz, dass solche freiwilligen Maßnahmen dann auch wirksam, spezifisch, nichtdiskriminierend, verhältnismäßig und transparent sein sowie mit angemessenen Schutzmaßnahmen (wie menschliche Aufsicht, Dokumentation, etc.) einhergehen müssen. Auch die Regel, dass Vermittlungsdiensten keine allgemeinen Überwachungspflichten auferlegt werden dürfen (Art. 7), will das Parlament konkreter ausgestalten. So sollen diese insbesondere nicht verpflichtet werden können, automatisierte Inhaltemoderation einzusetzen und ihnen soll die Verschlüsselung und das anonyme Anbieten ihrer Dienste (generell) möglich bleiben. Auf der anderen Seite sollen sich Anbieter „in zumutbarem Maße“ aber bemühen, ihre Dienste auch ohne die Nutzung personenbezogener Daten der Nutzer*innen zu finanzieren. Auch die Regeln über Anordnungen gegenüber Anbietern (Art. 8 und 9) werden vor allem in verfahrenstechnischer Hinsicht ergänzt, was insbesondere die Ergänzung von Regeln zum Anhörungsrecht der Anbieter und wirksame Rechtsbehelfe der Nutzer*innen betrifft.

Wesentliche Änderungen in der Parlamentsposition betreffen vor allem aber den vom DSA aufgestellten Pflichtenkatalog. So schlägt das Parlament etwa einen neuen Art. 10a vor, der Anbieter von Vermittlungsdiensten zur Einrichtung von Kontaktstellen für Nutzer*innen verpflichtet, und erweitert die Informationspflichten in allgemeinen Geschäftsbedingungen (Art. 12), wobei bspw. Erleichterungen wie Zusammenfassungen, grafische Erklärungen und mehrere Sprachoptionen befürwortet werden. Anders als die Kommission widmet das Parlament der Gestaltung und Organisation von „Online-Schnittstellen“ (= jedwede Software, die es Nutzer*innen ermöglicht, auf den betreffenden Vermittlungsdienst zuzugreifen und mit ihm zu interagieren) eine eigene Regelung (Art. 13 a), die vor allem die Entscheidungsfreiheit der Nutzer*innen sicherstellen soll (kein missbräuchliches Aufdrängen von Optionen, keine Beeinflussung, etc.). Damit will das Parlament sog. „Nudging-Techniken“ und „dark patterns“ begegnen. Auch Pflichten zur Meldung des Verdachts auf Straftaten (Art. 15a) und zur Information der Verbraucher*innen und Behörden über illegale Produkte und Dienstleistungen (Art. 22a) sowie Bestimmungen zu Anforderungen an die Barrierefreiheit von Online-Plattformen (Art. 19a) will das Parlament ergänzen.

Während der Kommissionsvorschlag die in Abschnitt 3 vorgesehenen Pflichten für Online-Plattformen (darunter die Einrichtung von Beschwerdemanagementsystemen, die Zusammenarbeit mit vertrauenswürdigen Hinweisgebern, die Gewährleistung der Nachverfolgbarkeit bestimmter Geschäftsnutzer sowie Bestimmungen zur Transparenz von Online-Werbung) bereits nicht auf Kleinst- und Kleinunternehmen anwenden will, geht die Position des Parlaments noch darüber hinaus: Auch andere Anbieter von Vermittlungsdiensten, sofern sie nicht als sehr große Online-Plattform zu kategorisieren sind, sollen über den mitgliedstaatlichen Koordinator für digitale Dienste bei der Kommission einen begründeten Antrag auf Befreiung von den Pflichten stellen können, wenn sie keine systemischen Risiken darstellen und nur beschränkt illegalen Inhalten ausgesetzt sind und gemeinnützige oder mittlere Unternehmen im Sinne des Anhangs der Empfehlung 2003/361/EG sind. Zudem setzt das Parlament einen Schwerpunkt auf die Konkretisierung der vorgeschlagenen Regeln zu Berichtspflichten über den Umgang mit illegalen Online-Inhalten; es will insbesondere festlegen, was die Berichte konkret enthalten sollen (welche Inhalte wurden gemeldet, welche rechtlichen Bestimmungen verletzten diese mutmaßlich, wie wurde damit umgegangen, etc.).

Aus Perspektive von Medienrecht und Medienwirtschaft sind zudem vor allem die Änderungen und Ergänzungen in Bezug auf Online-Werbung (Art. 24), Empfehlungssysteme (Art. 24a) und Pornografie-Plattformen (Art. 24b) interessant. In einem vom Umfang her eher unscheinbaren Zusatz ergänzt das Parlament die Regeln zur Transparenz von Online-Werbung um den Zusatz, dass Online-Plattformen dafür sorgen müssen, dass Nutzer*innen problemlos eine fundierte Wahl in Bezug auf ihre Einwilligung zur Nutzung personenbezogener Daten für Werbezwecke treffen können, indem sie sinnvolle Informationen erhalten, etwa darüber, wie ihre Daten monetarisiert werden. Online-Plattformen sollen ferner dafür sorgen, dass eine Verweigerung der Einwilligung für Nutzer*innen weder schwieriger noch zeitaufwändiger ist als deren Erteilung. Verweigern Nutzer*innen die Erteilung der Einwilligung, oder haben sie die Einwilligung widerrufen, so sollen ihnen andere faire und angemessene Optionen für den Zugang zur Online-Plattform an die Hand gegeben werden. Verfahren der gezielten Ansprache oder Verstärkung, bei denen personenbezogene Daten Minderjähriger oder besondere Kategorien personenbezogener Daten für die Zwecke der Anzeige von Werbung verarbeitet, offengelegt oder abgeleitet werden, will das Parlament gänzlich untersagen. Setzen sehr große Online-Plattformen Empfehlungssysteme ein, will das Parlament einerseits zu mehr Transparenz über die eingesetzten Parameter verpflichten und andererseits den Nutzer*innen mehr Möglichkeiten individueller Einstellungen geben. Sehr große Online-Plattformen, die in erster Linie für die Verbreitung von nutzergenerierten pornografischen Inhalten genutzt werden, sollen zudem mit technischen und organisatorischen Maßnahmen sicherstellen, dass sich Uploader durch eine Registrierung im Rahmen von Double-Opt-In-Verfahren per E-Mail- und Handy verifiziert haben, die Moderation von Inhalten professionell und von qualifiziertem Personal durchgeführt wird und ein qualifiziertes Verfahren zur Meldung von Persönlichkeitsrechtsverletzungen Betroffener zur Verfügung steht. Außerdem sollen sehr große Online-Plattformen Kennzeichnungspflichten bei Deep Fakes (Art. 30a) treffen.

Bemerkenswert ist dieser Pflichtenkatalog auch vor dem Hintergrund, dass das Parlament in einem Art. 43a einen Regressanspruch einführen will: Nutzer*innen sollen von Anbietern von Vermittlungsdiensten für etwaige unmittelbare Schäden oder Verluste, die aufgrund eines Verstoßes gegen die Verpflichtungen entstanden sind, Schadensersatz verlangen können.