Ein Verleger kann keine Entschädigung für die Beschlagnahme eines Journals mit nachgedruckter NS-Propaganda verlangen, wenn er durch sein riskantes Verhalten selbst zur Entstehung eines Ermittlungsverfahrens beigetragen hat. Das hat der BGH mit U.v. 15.12.2016 festgestellt – Az.: III ZR 387/14 – und damit anders entschieden als die Vorinstanzen.
Seit Januar 2009 vertrieb ein Presseunternehmen aus Großbritannien das wöchentlich erscheinende Journal „Zeitungszeugen“ in Deutschland. Inhaltlich setzte sich das Journal mit der Zeit des Nationalsozialismus und der damaligen Presselandschaft auseinander. Den einzelnen Ausgaben der Zeitschrift waren jeweils zwei bis drei Faksimilenachdrucke von Zeitungen eines ausgewählten Tages aus der Zeit des Nationalsozialismus beigelegt. Diese Nachdrucke waren in einen vierseitigen Zeitungsmantel eingelegt, der (kurze) historische Abhandlungen zu den jeweiligen Zeitungsausgaben enthielt. Zum Teil wurden auch großformatige NS-Propaganda-Plakate beigefügt.
Am 23. Januar 2009 leitete die Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren gegen den Kläger wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen (§ 86a StGB) und Verstößen gegen das Urheberrecht (§§ 106, 109 UrhG) ein. Außerdem beantragte sie beim zuständigen Amtsgericht den Erlass eines Beschlagnahme-Beschlusses. Dieser wurde noch am selben Tag erlassen. Dabei war die Beschlagnahme auf die Beilagen „Völkischer Beobachter“ vom 1. März 1933 und das NS-Propagandaplakat „Der Reichstag in Flammen“ beschränkt. In der Folgezeit wurden bundesweit circa 12.000 vollständige Exemplare der Ausgabe 2/2009 des Journals beschlagnahmt.
Auf die Beschwerde des Klägers hob die Staatsschutzkammer des Landgerichts die Beschlagnahme- Anordnung auf, da die Ermittlungen keine zureichenden tatsächlichen Anhaltspunkte im Sinne eines Anfangsverdachts für ein strafbares Verhalten des Klägers ergeben hätten. Ein etwaiges Urheberrecht sei spätestens nach 70 Jahren ab dem Erscheinen der Ausgabe des „Völkischen Beobachters“ vom 1. März 1933 abgelaufen. Es bestehe auch kein Verdacht, dass Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen (Hakenkreuze) in strafbarer Weise verwendet oder verbreitet worden seien. Jedenfalls könne sich der Kläger auf die Sozialadäquanzklausel des § 86 Abs. 3 StGB berufen, da er nach den bisherigen Erkenntnissen mit der Publikation das Ziel staatsbürgerlicher Aufklärung verfolge. Das Ermittlungsverfahren gegen den Kläger wurde sodann gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt.
Daraufhin erhob der Kläger als geschäftsführender Gesellschafter des Presseunternehmens gegen das beklagte Land aus eigenem und abgetretenem Recht Ersatzansprüche in Höhe von 2.634.677,52 Euro im Zusammenhang mit der Beschlagnahme. Die Vorinstanzen (OLG München, 27.11.2014, Az. 1 U 781/13, LG München, 23.01.2013 Az.: 15 O 9627/11) sprachen dem Kläger – gestützt auf einen an ihn abgetretenen Anspruch des Unternehmens aus enteignendem Eingriff – eine Entschädigung dem Grunde nach zu.
Doch die Richter des III. Zivilsenats des BGH kamen zum gegenteiligen Ergebnis. Nach Ansicht des BGH haben die Staatsanwaltschaft und der Ermittlungsrichter mit der Beschlagnahme der Journale nicht amtspflichtwidrig i.S.d. § 839 I S. 1 BGB i.V.m. Art. 34 S. 1 GG gehandelt. Die im Rahmen eines Beurteilungsspielraums getroffene Maßnahme sei im Amtshaftungsprozess nicht auf ihre Richtigkeit, sondern nur auf ihre Vertretbarkeit zu überprüfen. Die Vertretbarkeit darf nach Ansicht des BGH aber nur dann verneint werden, wenn bei voller Würdigung auch der Belange einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege die betreffende Entscheidung nicht mehr verständlich ist. Angesichts der äußerst komplexen und komplizierten Sach- und Rechtslage und der Notwendigkeit einer Eilentscheidung sei es aber durchaus vertretbar gewesen, den starken Anfangsverdacht einer Verletzung des Urheberrechts und einer Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen durch den Verleger zu bejahen. Die Bejahung der Vertretbarkeit der Maßnahme führt nach Ansicht des BGH zum Entfallen einer Amtspflichtverletzung auf der Tatbestandsebene.
Außerdem habe der Verleger auch keinen Anspruch aus enteignendem Eingriff, weil der Verlag kein unzumutbares Sonderopfer habe hinnehmen müssen. Der Verleger habe sich vielmehr als geschäftsführender Gesellschafter bewusst für die grenzwertige Veröffentlichung des Journals Zeitungszeugen entschieden. Dieses Verhaltens seines Organs müsse sich das Presse-Unternehmen zurechnen lassen.

Das Urteil ist hier  abrufbar.

Ursprünglich erschienen im EMR-Newsletter 04/2017. Autor ist Ingo Beckendorf.

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