Eine der wichtigsten Bereiche des EU-Rechts, in dem der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) in den letzten Jahrzehnten durch seine Rechtsprechung wesentliche Klärungen herbeigeführt hat, betrifft die mitgliedstaatlichen Handlungsmöglichkeiten bei der Einschränkung von Grundfreiheiten. Es geht dabei immer um die Grenzen der gerechtfertigten Einschränkung von Grundfreiheiten durch die Mitgliedstaaten bei eigenen Regelungen zum Schutz anerkennenswerter Ziele von allgemeinem öffentlichem Interesse. Dabei handelt es sich auch deshalb um eine so wichtige Frage, weil deren Beantwortung vom Grundsatz der Kompetenzbe- und -abgrenzung zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten determiniert wird. Bei der Festlegung, welche Maßnahmen und welches Maß an Beschränkung europarechtlich rechtmäßig ist, gibt es keine pauschale Antwort, weil es nicht nur auf die Art und Folge der getroffenen Maßnahme ankommt, sondern diese vor allem im Zusammenhang mit dem verfolgten legitimen Zweck, der überhaupt erst Anlass zur Einschränkung ist, gesehen werden muss. Wenn dieser Zweck in Verbindung mit Kompetenzen steht, die in der mitgliedstaatlichen Zuständigkeit verblieben sind, ist der Gestaltungsspielraum größer, was insbesondere dann gilt, wenn mitgliedstaatliche Unterschiede auch im Regulierungsrahmen widergespiegelt werden dürfen. Insoweit ist die Entscheidung über den Regulierungsrahmen, mit dem die Mitgliedstaaten in ihrem Gebiet eine für die dortige Bevölkerung relevante Medienvielfalt herstellen wollen, eine typischerweise eng mit den historischen, regionalen, gesellschaftlichen und politischen Besonderheiten verbundene Maßnahme.

Aktuell liegt dem EuGH ein von einem deutschen Gericht vorgelegtes Verfahren (Rs. C-555/19) zur Entscheidung vor, das sich genau um diese Frage der Rechtmäßigkeit einer Beschränkung einer Grundfreiheit mit dem Ziel der Aufrechterhaltung der Medienvielfalt dreht. Die Frage selbst ist nicht neu, aber der Gerichtshof erhält mit dem aktuellen Vorlageverfahren die Möglichkeit, klarstellend zu beantworten, dass die von ihm in zahlreichen früheren Fällen wiederholt aufgestellten Prinzipien weiterhin gelten und sie damit zugleich noch dauerhafter zu verankern. Es geht um die Klärung, ob die Geltung der das Funktionieren des Binnenmarktes dienenden Grundfreiheiten soweit gehen darf, dass die mitgliedstaatliche Hoheit, im eigenen Kompetenzbereich gesetzliche Maßnahmen zur Erreichung anerkannter Gemeinwohlziele zu treffen, beschränkt wird.

Aufgrund der zentralen Bedeutung des Vorlageverfahrens für die Frage gesetzgeberischer Kompetenzen der Mitgliedstaaten für die Medienregulierung ebenso wie der streitbefangenen Vorschrift zur Sicherstellung einer durch unterschiedliche Formen von Medienanbietern – dazu zählen hier vor allem Presse und Hörfunk – erbrachten, redaktionell verantworteten Herstellung und Verbreitung regionaler und lokaler Inhalte, die zu einer regional bedeutsamen Medien- (und Informations-)vielfalt beitragen, haben der Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger e.V. (BDZV) und die Arbeitsgemeinschaft Privater Rundfunk (APR) das Institut für Europäisches Medienrecht beauftragt, diese Grundsatzfragen in einem Rechtsgutachten zu untersuchen.

Das vom Wissenschaftlichen Direktor des EMR, Prof. Dr. Mark D. Cole, erstellte Rechtsgutachen Zum Gestaltungsspielraum der EU-Mitgliedstaaten bei Einschränkungen der Dienstleistungsfreiheit wird Ihnen hier zum Download zur Verfügung gestellt.

 

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