VoD: Die Verantwortung der Medienintermediäre für die demokratische Diskursvielfalt – Algorithmenregulierung für Facebook, Twitter & Co.?

Die Bedeutung der Medienintermediäre wie Facebook, Twitter oder YouTube ist dramatisch gestiegen. Die algorithmenbasierte Inhalteselektion generiert dabei erhebliche Gefahren für den Schutz der medialen Öffentlichkeit und damit für die Demokratie. Die Verrohung des öffentlichen Diskurses durch die massenhafte Zunahme hasserfüllter Meinungsbeiträge und die Zunahme faktenverachtender Inhalte sind insoweit zwei besonders sichere Kollateralschäden des Aufstiegs der Intermediäre. Beide Negativentwicklungen werden durch die algorithmengetriebene Funktionsweise der Medienintermediäre begünstigt. Zu Recht ist insoweit ein Handeln der Unternehmen wie des Staates gefordert, auch wenn bislang noch nicht Lösungen gefunden wurden, die an der Wurzel der Selektionsprozesse selbst ansetzen, sondern nur die Symptome abmildern. Mit Blick auf den Rückgriff auf Algorithmen zur Selektion und Präsentation der Inhalte für die Nutzer ist dennoch eine Regulierung mit Augenmaß erforderlich und ein vorsichtiges Ausprobieren des richtigen Instrumentenmixes.

Einer Analyse und Bewertung dieser Themen widmete sich der Vortrag von Prof. Dr. Jürgen Kühling LL.M., Universität Regensburg, Vorsitzender der Monopolkommission, im Rahmen des digitalen  Informations- und Medienrechtliche Kolloquium (IMK) Saarbrücken am 27. Januar 2021, den wir auf diesem Wege nun auch als Video zum Abruf bereitstellen. 

Kühling eröffnet seinen Vortrag dabei mit einer Problembeschreibung: Eine große Vielfalt von Medienintermediären von Suchmaschinen über soziale Netzwerke wie Facebook hin zu Microblogging-Diensten wie Twitter befinden sich nach wie vor im Aufstieg. Diesen Diensten, so verschieden sie auch im Hinblick auf ihre konkreten Funktionen und Ausgestaltung auch sein können, sei gemeinsam, dass sie Inhalte Dritter verfügbar machen, diese präsentieren und dabei nicht selbst redaktionell tätig werden. Algorithmen spielen bei dieser Auswahl eine große Rolle – auch und gerade, wenn sie in Verbindung mit verwandten problematischen Phänomenen wie Hate Speech und Desinformation kommen. Der rasante Anstieg an Nutzern, der faktische Markzuwachs und die strukturierende Intermediationsfunktionalität stellten dabei vor allem die Herausforderungen dar, die eine mögliche Regulierung berücksichtigen müsse. Gerade die jüngsten Entwicklungen rund um den US-Wahlkampf, in denen die Plattformen eine nicht unerhebliche Rolle gespielt haben, zeigten dabei die potentiellen Gefahren für Kommunikationsräume. Regulatorische Schritte, die an diesen Punkten ansetzen, seien auch in den Vorschlägen der EU-Kommission für einen Digital Services Act und einen Digital Markets Act zu erkennen, die spezielle und strengere Regeln für sehr große Online-Plattformen und marktmächtige Intermediäre vorsehen. 

Als Anknüpfungspunkte für eine mögliche Regulierung von Intermediären vor dem Hintergrund dieser Problemdarstellung konnte sich Kühling insbesondere Informationsasymmetrien (durch Intransparenz der Intermediäre), Marktmachtprobleme (durch Diskriminierung von bestimmten Inhalten durch Intermediäre und damit verbunden Gefahren für die Vielfaltssicherung) sowie externe Effekte (wie das Entstehen verzerrter Nutzerpräferenzen) vorstellen. Bei jedweder Regulierung seien aber vor allem grundrechtliche Erwägungen zu berücksichtigen. Bekannte Modelle, die sich für Presse und Rundfunk aus den Prinzipien der Grundrechte und deren Ausgestaltung durch die Rechtsprechung des BVerfG ergeben haben, seien nicht ohne weiteres auf Intermediäre übertragbar. Hier bestünde eine völlig andere Ausgangslage. Eine Rechtsprechung des BVerfG existiere ebenso noch nicht. Auch vor dem Hintergrund einer mindestens mittelbaren Grundrechtsbindung der Intermediäre, könne Regulierung dabei nur unter Mitwirkung der Intermediäre geschaffen werden im Sinne einer grundrechtsorientierten Verantwortungsteilung zwischen Staat und Medienintermediär. Transparenzgebote und Diskriminierungsverbote, wie sie bereits jetzt im neuen Medienstaatsvertrag vorgesehen seien und auch im DSA aufgegriffen würden, seien sinnvolle Schritte in eine richtige Richtung. Zur Zeit sieht Kühling aber noch keine Notwendigkeit einer positiven Vielfaltsregulierung im Sinne einer Erzwingung von vielfaltsorientierten Zusatzangeboten. Letzteres sei in der Praxis, wenn man die tatsächlichen Realitäten auf den Plattformen bedenkt, auch kaum sinnvoll umsetzbar. Ähnlich kritisch sieht Kühling binnenpluralistische Modelle innerhalb von (eigentlich inhaltsneutralen!) Plattformen  und Must-be-found-Regeln. Er plädiert daher vielmehr für eine Stärkung von Qualitätsinhalten auch durch finanzielle Sicherung. 

Kühling schloss mit folgenden Thesen in einem Fazit, die in die anschließende Diskussion überleiteten: 

  • Es ist keine Lösung für die Begünstigung von „Fake News“ und „Hate speech“ durch Einsatz von Algorithmen ersichtlich
  • Daher sei jedenfalls eine konsequente Bekämpfung von „Fake News“ und „Hate speech“ erforderlich
  • Algorithmenregulierung muss „mit Augenmaß“ erfolgen
  • Es bedarf einer sorgfältigen Analyse der tatsächlichen Defizite und Gefährdungen
  • Der Medienstaatsvertrag ist hierzu ein erster sinnvoller Schritt
  • Das dort geregelte Transparenzgebot und Diskriminierungsverbot sind begrüßenswert
  • Es ist allerdings eine weitere Ausdifferenzierung, Forschungsdatenzugang und unabhängige Kontrollinstanzen erforderlich
  • Übertragung des öffentlich-rechtlichen Rundfunkmodells ggw. nicht indiziert
  • Die Einnahmequellen für „public value“-Inhalte müssen gesichert werden 
  • Die Verbesserung der Medienkompetenz der Nutzer ist wichtig

In der anschließenden Diskussion wurden insbesondere Fragen des (engeren) Verständnisses von public value Inhalten – auch vor dem Hintergrund einer negativen Informationsfreiheit -, die Problemrelevanz der Anonymität und von geschlossenen Benutzergruppen im Internet, die technische Umsetzbarkeit einer Algorithmenregulierung, die Möglichkeit einer globalen Standardisierung von Intermediärsregeln und das Verhältnis von nationalen Regeln zu Regeln des Unionsrechts angesprochen. 

 

Zum IMK Saarbrücken: Das Informations- und Medienrechtliche Kolloquium Saarbrücken (IMK) wurde im Jahr 2014 an der Universität des Saarlandes gegründet. Es versteht sich als ein Forum für Studierende, Wissenschaftler, in der Praxis tätige Juristen und alle, die Interesse an Rechtsfragen der Informationsgesellschaft haben. Als gemeinsame Veranstalter fungieren die rechtswissenschaftliche Fakultät und das Institut für Europäisches Medienrecht e.V. (Saarbrücken). Das Kolloquium gehört zu den Schwerpunktbereichen „Deutsches und internationales Informations- und Medienrecht“ sowie „IT-Recht und Rechtsinformatik“, auf deren Lehrplänen zivilrechtliche wie öffentlich-rechtliche Fragen der Informationsgesellschaft stehen. Organisatoren des IMK sind Prof. Dr. Georg Borges, Jun.-Prof. Dr. Dominik Brodowski, Prof. Dr. Thomas Giegerich, LL.M., Prof. Dr. Jan Henrik Klement, Prof. Dr. Stephan Ory, Prof. Dr. Christoph Sorge und Dr. Christopher Wolf.

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