Mit Beschluss vom 19. Dezember 2021 hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) mehrere Entscheidungen unterinstanzlicher Gerichte aufgehoben, die der Beschwerdeführerin einen Auskunftsanspruch über die Bestandsdaten von Nutzern, die auf einem sozialen Netzwerk Hasskommentare gepostet hatten, teilweise verwehrt hatten. Das BVerfG hat damit die Persönlichkeitsrechte Betroffener gestärkt und dabei insbesondere auch das Schutzbedürfnis von Amtsträgerinnen und Amtsträgern gegen persönlichkeitsrechtsverletzende Kommentare auf solchen Plattformen betont.
Hintergründig ging es in dem Verfahren um einen längeren Online-Artikel der Zeitung „die Welt“ aus dem Jahr 2015, in dem es um einen Bericht der Kommission zur Aufarbeitung der Haltung des Landesverbandes Berlin von Bündnis90/Die Grünen zu Pädophilie und sexualisierter Gewalt gegen Kinder und einer darin aufgeführten Äußerung der späteren Antragstellerin Renate Künast, eine bekannte Politikerin der Partei die GRÜNEN, während einer Debatte des Berliner Abgeordnetenhauses im Jahres 1986 ging. In dem hier maßgeblichen Absatz des « Welt-Beitrages » heißt es: « Während eine grüne Abgeordnete über häusliche Gewalt spricht, stellt ein CDU-Abgeordneter die Zwischenfrage, wie die Rednerin zu einem Beschluss der Grünen in Nordrhein-Westfalen stehe, die Strafandrohung wegen sexueller Handlungen an Kindern solle aufgehoben werden. Doch statt der Rednerin ruft, laut Protokoll, Renate Künast dazwischen: « Komma, wenn keine Gewalt im Spiel ist! » Klingt das nicht, als wäre Sex mit Kindern ohne Gewalt okay? ». Ein Dritter hat die letztgenannte Äußerung aus dem Kontext gerissen und neben der Abbildung der Politikerin die Äußerung « Komma, wenn keine Gewalt im Spiel ist, ist Sex mit Kindern doch ganz ok. Ist mal gut jetzt. » auf dem sozialen Netzwerk Facebook gepostet. Künast, wollte, wie sie in darauffolgenden Interviews erklärt hat, mit dem Zwischenruf lediglich darauf hinweisen, dass das Thema der Debatte (häusliche Gewalt) ein (auch strafrechtlich) völlig anderes Thema sei als das des sexuellen Kindesmissbrauchs. In Reaktion auf die ausschnitthafte Darstellung häuften sich aber unter dem Post Hasskommentare von Nutzern, unter anderem mit ehrverletzenden Aussagen wie „Pädophilen-Trulla“, „Mensch… was bist Du Krank im Kopf!!!“ und weitere ähnliche Kommentare teils unter Verwendung von Fäkalsprache und sexualisierenden Andeutungen.
Künast wollte gegen die Nutzer straf- und zivilrechtlich vorgehen, konnte aber aufgrund der Anonymität die hinter den Profilen stehenden Personen nicht identifizieren. Stattdessen verlangte sie daher gerichtlich von Facebook auf Basis von § 14 Abs. 3 des deutschen Telemediengesetz a. F. (nunmehr § 21 Abs. 2 und 3 des Telekommunikation-Telemedien-Datenschutz-Gesetzes) Auskunft über die Bestandsdaten der betreffenden Nutzer. Dieser Anspruch setzt allerdings nach der Vorschrift voraus, dass es sich bei den Äußerungen um strafbare Beleidigungen nach §§ 185 ff. StGB handelt – eine Frage, die Kern der auf die Verweigerung der Auskunft durch Facebook folgenden, teils gegenläufigen Urteilen der Instanzgerichte war. Eine strafbare Beleidigung liegt nämlich nur dann vor, wenn sie nicht durch die Wahrnehmung berechtigter Interessen als Ausdruck des Grundrechts auf Meinungsfreiheit gerechtfertigt ist. Das zunächst angerufene Landgericht Berlin hatte erstinstanzlich eine solche Rechtfertigung angenommen und ausgeführt, dass es sich bei den insgesamt 22 beklagten Äußerungen um zulässige Meinungsäußerungen handelte. Diese seien zwar teilweise sehr polemisch, überspitzt und sexistisch. Allerdings habe Künast sich selbst zu einer die Öffentlichkeit in ganz erheblichem Maße berührenden Frage geäußert und damit Widerstand aus der Bevölkerung provoziert. Als Politikerin müsse sie in stärkerem Maße Kritik hinnehmen. Angesichts des Niveaus und der Schärfe der Äußerungen, um die es in dem Verfahren ging, hatte diese Entscheidung des Landgerichts Berlin große Empörung in der fachlichen und gesellschaftlichen Debatte hervorgerufen. Das Kammergericht Berlin hatte durch Urteil in der folgenden Instanz das Ergebnis in Bezug auf einige Äußerungen relativiert, indem es einige der Aussagen bereits als Beleidigungen einstufte. Am Ende blieben aber zehn weitere Aussagen, zu denen kein Auskunftsanspruch festgestellt wurden und die daher Gegenstand der Verfassungsbeschwerde waren.
Das BVerfG hat diese instanzgerichtlichen Entscheidungen nun aufgehoben, da sie die Beschwerdeführerin in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG verletzen, soweit sie die Anordnung hinsichtlich der zehn verbliebenen Kommentare versagt haben. Die Fachgerichte hätten unter Verkennung von Bedeutung und Tragweite des Persönlichkeitsrechts die verfassungsrechtlich erforderliche Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit und dem Persönlichkeitsrecht unterlassen. Eine solche Abwägung sei zwar bei sog. Schmähkritik (= bloße Diffamierung und keine Auseinandersetzung in der Sache) zugunsten des Persönlichkeitsrechts entbehrlich, nicht aber bei sonstigen Ehrverletzungen. Die Fachgerichte seien aber rechtsfehlerhaft davon ausgegangen, dass eine strafbare Beleidung erst vorliege, wenn eine solche Schmähung erfolgt. Vielmehr hätte aber geprüft werden müssen, ob eine Äußerung, die diese Schwelle nicht erreicht, aber dennoch ehrverletzend ist, durch Wahrnehmung berechtigter Interessen gerechtfertigt ist, was eine umfassende Abwägung voraussetze. Eine solche sei zwar durch das Kammergericht angedeutet, aber nicht vollzogen worden. Eine solche hätte der Frage nachgehen müssen, welche Äußerungen sich Personen des öffentlichen Lebens gefallen lassen müssen und welche nicht, und dabei umfassend Art und Umstände der Äußerung sowie die Position der Betroffenen und die öffentliche Aufmerksamkeit zur Person einbeziehen müssen. Aufgrund dieses Rechtsfehlers waren weitere Ausführungen des BVerfG, insbesondere eigene Ausführungen zur Abwägung, entbehrlich und die Entscheidungen aufzuheben sowie zur neuerlichen Entscheidung zurückzuverweisen. Dennoch unterstrich das BVerfG, dass insbesondere unter den Bedingungen der Verbreitung von Informationen durch „soziale Netzwerke“ im Internet ein wirksamer Schutz der Persönlichkeitsrechte von Amtsträgerinnen und Amtsträgern über die Bedeutung für die jeweils Betroffenen hinaus im öffentlichen Interesse liege, was das Gewicht dieser Rechte in der Abwägung verstärken könne. Denn eine Bereitschaft zur Mitwirkung in Staat und Gesellschaft könne nur erwartet werden, wenn für diejenigen, die sich engagieren und öffentlich einbringen, ein hinreichender Schutz ihrer Persönlichkeitsrechte gewährleistet sei. Eine deutliche Kritik durch die Verfassungsrichter an den Richtern der Ursprungsentscheidung findet sich zudem: „Die vom Fachgericht zum Teil begründungslos verwendete Behauptung, die Beschwerdeführerin müsse den Angriff als Politikerin im öffentlichen Meinungskampf hinnehmen, ersetzt die erforderliche Abwägung nicht.“