Der Koalitionsvertrag 2021 beinhaltet Pläne, die Justiz und gerichtliche Verfahren intensiver zu digitalisieren. Hierauf wies Prof. Dr. Nikolaus Marsch in seiner Begrüßung der rund 150 Teilnehmer der Veranstaltung hin. Das Thema von Privatdozent Dr. Martin Fries sei also hoch aktuell. Dieser wies eingangs auf den Umbruch hin, dass beispielsweise am Sitz von Fluggesellschaften die Gerichte durch Legal-Tech-Dienstleister mit einer Vielzahl von gleichförmigen Verfahren konfrontiert würden und sich organisatorischen und in der Folge verfahrensrechtlichen Herausforderungen zu stellen hätten. Wenn man in die Zukunft blicke, könne man sich bei Streitigkeiten im Zusammenhang mit dem Auto vorstellen, dass für die Sachverhaltsdarstellung Daten aus dem Auto standardmäßig ausgewertet würden. Man komme zu einer industriellen Art der Fallbearbeitung.

Aus dem « Gürteltier » der Akten werde im Moment eine PDF-Datei. Aber darin müsse der Richter immer noch suchen, strukturierter Parteivortrag könne abhelfen. Eine heute 20jährige würde, wenn man sie vor die Aufgabe stellt, die Justiz völlig anders « designen », als sie sich derzeit darstellt. Vielleicht würde ein virtuelles Gerichtsgebäude entstehen, statt ein solches aus Stein – ein Prozessmanagementportal. Klagen würden online eingereicht, eben strukturiert. Die virtuelle Verhandlung würde auf dem Portal stattfinden und das Urteil sofort veröffentlicht und der Kostenfestsetzungsbeschluss automatisch erstellt. Erst der Gerichtsvollzieher sei dann wieder die Schnittstelle zum realen Leben.

Passt ein solches Szenario zu den Prozessmaximen? Beim Unmittelbarkeitsgrundsatz könne man Fragen stellen, etwa wenn es auf den Eindruck eines Zeugen ankommt und die Gesamtsituation seiner Vernehmung, die man am Bildschirm nicht sieht. Die Bürgernähe eines Verfahrens und dessen Kontakt mit seinem Richter seien Gesichtspunkte. Hier würden aktuell wohl die junge und die ältere Generation andere Schwerpunkte setzen. Die Spezialisierung der Gerichte ist für Fries ein Aspekt; die Digitalisierung bietet die Chance, auch für größere Bezirke spezialisierte Spruchkörper einzurichten.

In der Gesamtschau müsse man die digitale Justiz und die bekannten Prozessformen « legomäßig » verbinden. Die ZPO müsse behutsam weiterentwickelt werden, es böten sich wohl Teillösungen an, von denen man Schritt für Schritt ausgehen könne. Das beträfe Bagatellverfahren, Verfahren wie Fluggastrechte oder einen Online-Gerichtsstand als Opt-In vielleicht auch verbunden mit Kostenvorteilen für die Parteien. Weiter gedacht könne man zum Beispiel Transportunternehmen wie die Bahn verpflichten, bei Verspätungen – die sie ohnehin selbst kennen – die gesetzlich oder vertraglich vereinbarten Erstattungen automatisch auszuzahlen, sozusagen über den DB-Navigator.

Abschließend lenkte Fries den Blick auf die Ebene des Unionsrechts. Die Kommission und andere Mitgliedsstaaten seien manchmal ungeduldiger. So werde die grenzüberschreitende Justizkooperation digital diskutiert.

In der Diskussion wurde zum Beispiel angesprochen, ob man Massenverfahren überhaupt gerichtlich abarbeiten müsse, oder man andere Lösungen der Streitschlichtung zur Verfügung stellen könne. Auch wurde darauf hingewiesen, dass die angesprochene Verpflichtung von Transportunternehmen, automatisch Erstattungen zu regulieren, ebenso im Koalitionsvertrag 2021 angesprochen sei. Hinterfragt wurde, ob Deutschland einen (langsamen) Sonderweg gehe, man nicht besser bundeseinheitliche Lösungen statt örtliche Projekte angehen soll. Maximilian Herberger warb – unter Zustimmung des Referenten und von Diskussionsteilnehmern – dafür, die Digitalisierung und die Kompetenz hierfür neben den juristischen Fragestellungen in der universitären Ausbildung und im Referendariat zu berücksichtigen.

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