Am 15. Dezember 2023 haben sich Europäisches Parlament und Rat auf das Europäische Medienfreiheitsgesetz, den „EMFA“, geeinigt. Damit erhält die Union neue Regeln zum Schutz der Freiheit, des Pluralismus und der Unabhängigkeit der Medien – und das unter dem festen Dach einer in allen Mitgliedstaaten unmittelbar geltenden Verordnung. Reagiert wird mit dem EMFA auf zunehmende Bedrohungen im „Binnenmarkt für Mediendienste“, darunter bedenkliche Konzentrationsentwicklungen, staatliche Einflussnahme auf Medien und Effektivitätshindernisse in der grenzüberschreitenden Rechtsdurchsetzung. Mit der Einigung, nach einem knapp 15-monatigen Legislativverfahren, soll nun auch, so die Pressemitteilung des Rates, sichergestellt sein, dass das neue Gesetz mit geltendem EU-Recht in Einklang steht, die nationalen Zuständigkeiten in diesem Bereich gewahrt und das richtige Gleichgewicht zwischen erforderlicher Harmonisierung und Achtung nationaler Unterschiede hergestellt werden. In unserem Webinar am 22.1.2024 haben wir diese Aussage einer näheren Prüfung unterzogen und einen genaueren Blick auf das „neue Zeitalter der EU-Medienregulierung“(?) geworfen. Die geladenen Expertinnen und Experten wagten einen ersten Blick in die Zukunft der Anwendung des EMFA auf Basis der gefundenen Einigung. Die Aufzeichnungen finden Sie – unterteilt in die einzelnen Sessions – im Folgenden.
Politische Einordnung aus der europäischen Sicht: Isabelle Weykmans, Ministerin für Kultur und Sport, Beschäftigung und Medien der Deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens, Eupen
11.30 Uhr: Politische Bewertung und Einordnung aus der Sicht des Mitgliedstaats Deutschland: Heike Raab, Staatssekretärin, Bevollmächtigte des Landes Rheinland-Pfalz beim Bund und für Europa und Medien, Mainz
Der EMFA im Überblick und der Zusammenhang zu anderen Rechtsakten: Prof. Dr. Mark D. Cole, Wissenschaftlicher Direktor des EMR, Saarbrücken
Zur Präsentation: Der EMFA ist da – Zukunft der EU-Medienregulierung
Panel 1: Zusammenarbeit der nationalen Regulierer mit dem „Board“
- Raoul Dörr, Policy Officer, DG CNECT, Einheit für Politik der audiovisuellen und Mediendienste bei der Europäischen Kommission, Brüssel
- Dr. Eva Flecken, Direktorin der mabb und Vorsitzende der Direktorenkonferenz der Landesmedienanstalten (DLM), Berlin
- Dr. Susanne Lackner, stv. Vorsitzende der Kommunikationsbehörde Österreich (KommAustria), Wien
- Moderation: Christina Etteldorf, Wissenschaftliche Referentin des EMR
Panel 2: Was bedeutet die Unabhängigkeit individueller redaktioneller Entscheidungen?
- Dr. Kirsten von Hutten, Rechtsanwältin und Sprecherin des Deutschen Presserats, Berlin
- Boris Lochthofen, Medienexperte, Erfurt
- Steffen Grimberg, Vorstandsvorsitzender des DJV Berlin und Medienjournalist KNA
- Moderation: Prof. Dr. Stephan Ory, Direktor des EMR
Panel 3: Was bedeutet der EMFA für die weitere Entwicklung des öffentlich-rechtliche Rundfunks?
- Dr. Renate Dörr, Justitiariat und Europabüro des ZDF, Mainz/Brüssel
- Dr. Matthias Knothe, Leiter der Stabsstelle für Medienpolitik in der Staatskanzlei Schleswig-Holstein, Kiel
- Dr. Jenny Weinand, Legal Counsel European Broadcasting Union (EBU), Genf
- Moderation: Dr. Jörg Ukrow, geschäftsführendes Vorstandsmitglied des EMR
Tagungsbericht
Am 22.01.2024 veranstaltete das Institut für Europäisches Medienrecht ein Webinar zum European Media Freedom Act (EMFA). Unter dem Titel „Der EMFA ist da – Beginn eines neuen Zeitalters der EU-Medienregulierung?“ beleuchteten Experten den EMFA sowohl aus politischer als auch aus der Sicht von Regulierern und Medienakteuren, sowie seiner Bedeutung für die nationale Medienordnung und wagten einen ersten Ausblick in die Zukunft. Anlass des Webinars war die Einigung im Trilog. Der EMFA soll in der Gestalt einer Verordnung eine Mindestharmonisierung im Binnenmarkt erreichen und die Stärkung der Freiheit und Unabhängigkeit der Medien und des Medienpluralismus bewirken. Das Webinar bestand aus zwei Teilen: Im ersten Teil wurden die politischen Hintergründe und der voraussichtliche Gesetzestext erläutert. Im zweiten Teil wurde in drei Panels die Auswirkungen des EMFA für verschiedene Themenbereiche vertieft diskutiert.
Das Webinar wurde unter der Moderation von Prof. Dr. Stephan Ory, Direktor des EMR, durch Frau Isabelle Weykmans, Ministerin für Kultur und Sport, Beschäftigung und Medien der Deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens, Eupen und Frau Heike Raab, Staatssekretärin, Bevollmächtigte des Landes Rheinland-Pfalz beim Bund und für Europa und Medien, Mainz eröffnet. Frau Weykmans und Frau Raab stellten die politischen Hintergründe, die Ziele der Europäischen Union (Quellenschutz, Stärkung der Freiheit und Unabhängigkeit der Medien und Medienpluralismus) und der Mitgliedsstaaten hinsichtlich des Erlasses und den Prozess zu einer Einigung dar. Frau Weykmans ging dabei auf die Organisation der belgischen Ratspräsidentschaft im Bereich Audiovisuelles zwischen den drei Sprachgemeinschaften Belgiens, sowie das Arbeitsziel der Umsetzung des EMFA ein. Frau Raab erläuterte den Föderalismus in Grundzügen und die damit verbundene Problematik der dezentralen Regelung des Medienrechts in Deutschland während des Gesetzgebungsverfahrens. Dabei wurden die anfangs bestehenden Meinungsverschiedenheiten dargelegt. Besonderer Fokus wurde auch auf die Problematik der im Gesetzgebungsverfahren umstrittenen Rechtsgrundlage für den EMFA gelegt: Wenn sich die EU auf die Binnenmarktkompetenz des Art. 114 AEUV beruft, dann muss der in Art. 167 IV AEUV hervorgehobenen Kulturhoheit der Mitgliedstaaten entsprechend Rechnung getragen werden.
Prof. Dr. Mark D. Cole, Wissenschaftlicher Direktor des EMR, Saarbrücken, gab einen Überblick über den Gesetzestext des EMFA – dessen finale Ausformulierung zu dem Zeitpunkt noch offen gewesen ist –, die verschiedenen Fassungen des Rates und der Kommission, sowie über das Gesetzgebungsverfahren. Prof. Cole betonte dabei die Ziele des EMFA und bestehende Probleme, insbesondere hinsichtlich der Rechtsgrundlage. Anfangs fasste Prof. Cole den Verlauf und den aktuellen Stand des Gesetzgebungsverfahrens des EMFA zusammen. Zudem veranschaulichte er die Ziele des EMFA und gab einen Überblick über den Inhalt und den Anwendungsbereich des EMFA. Anschließend ging er speziell auf die Art. 4 bis 6 EMFA ein und stellte die beschlossenen institutionellen Strukturen zwischen dem Europäischen Gremium für Mediendienste (EGMD), dem Sekretariat des Gremiums, den nationalen Regulierungsbehörden, der Europäischen Kommission und dem Kontaktausschuss wurde von Prof. Dr. Mark D. Cole, dar. Zu den im abschließenden Ausblick erörterten Problemen zählten: die Notwendigkeit einer möglichen Anpassung der AVMD-Richtlinie, die Art des Rechtsaktes des EMFA und die Auswirkung bzw. das Zusammenspiel mit dem Digital Services Act (DSA) und Digital Markets Act (DMA).
Im zweiten Teil der Veranstaltung wurde in drei Panels: Die „Zusammenarbeit der nationalen Regulierer mit dem Gremium“, „Was bedeutet die Unabhängigkeit individueller redaktioneller Entscheidungen?“ und „Was bedeutet der EMFA für die weitere Entwicklung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks?“ vielseitig diskutiert.
Im ersten Panel zur „Zusammenarbeit der nationalen Regulierer mit dem ‚Board‘“ haben Herr Raoul Dörr, Policy Officer, DG CNECT, Einheit für Politik der audiovisuellen und Mediendienste bei der Europäischen Kommission, Brüssel, Frau Dr. Susanne Lackner, stv. Vorsitzende der Kommunikationsbehörde Österreich (KommAustria), Wien und Frau Dr. Eva Flecken, Direktorin der mabb und Vorsitzende der Direktorenkonferenz der Landesmedienanstalten (DLM), Berlin, moderiert von Frau Christina Etteldorf, Wissenschaftliche Referentin des EMR, gesprochen. Dörr ist dabei insbesondere auf die Transformation der bestehenden European Regulators Group for Audiovisual Media Services (ERGA) hin zu einem Europäischen Gremium für Mediendienste (EGMD) und die Entstehung des Sekretariats des Gremiums eingegangen. Er betonte die Notwendigkeit des EMFA, um bestehende regulatorische Lücken zu schließen. Frau Dr. Lackner fokussierte sich insbesondere auf die Auswirkung auf die Verwaltungspraxis und die Auswirkung in Verbindung mit der Rolle der DSA-Koordination der Mitgliedstaaten, vor dem Hintergrund der momentanen Verwaltungspraxis, mit dem Ausblick, dass es zu einer Verdichtung der europäischen Zusammenarbeit kommen wird. Die Abgrenzung von Wirtschaftssanktionen gegenüber Mediensanktionen wurde kurz erläutert. Frau Dr. Lackner sah ein Problem in der derzeitigen Regulierung – Regulierung durch Wirtschaftssanktionen anstelle von Mediensanktionen und deren unterschiedlichen Ziel- und Wirkrichtung – im Bereich Internet, welches durch den EMFA behoben wird. Gleichzeitig wurde bezweifelt, ob der EMFA auch zukünftige Entwicklungen effektiv umfassen kann. Zu dem durch den EMFA befeuerten Problem der Ressourcenknappheit durch den Aufgabenzuwachs von Regulierungsbehörden und der fehlenden Regulierung durch den EMFA erläuterte Herr Raoul Dörr den Willen des europäischen Gesetzgebers, auf die bereits individuell bestehenden Systeme der Mitgliedstaaten zurückzugreifen und diesen explizit einen Freiraum zur Verwirklichung ermöglichen zu wollen. Frau Dr. Eva Flecken brachte die Sichtweise der DLM ein und warf Fragen zur konkreten Struktur und Ausgestaltung der Behörden, ihrer Zusammenarbeit, dem Verhältnis zur AVMD-Richtlinie und der Durchsetzbarkeit auf. Positiv wurden die geringen Anforderungen für die Zusammenarbeit der Regulierungsbehörden mit dem EGMD angesehen.
Unter der Moderation von Prof. Dr. Stephan Ory sprachen Frau Dr. Kirsten von Hutten, Rechtsanwältin und Sprecherin des Deutschen Presserats, Berlin, Herr Steffen Grimberg, Vorstandsvorsitzender des DJV Berlin und Medienjournalist KNA, und Herr Boris Lochthofen, Medienexperte, Erfurt, zu „Was bedeutet die Unabhängigkeit individueller redaktioneller Entscheidungen?“ Ein diskutiertes Problem war die Auswirkung des EMFA auf arbeitsrechtliche Bestimmungen des Journalismus in Deutschland. Hierbei wurden speziell die möglichen Probleme hinsichtlich der Weisungsgebundenheit im Arbeitsverhältnis und der Haftung behandelt. Die Problematik der Weisungsgebundenheit war von besonderer Bedeutung, weil durch den EMFA die Möglichkeit besteht, dass angestellte Journalisten nicht an die Weisungen der Redaktion aus ihrem Arbeitsvertrag gebunden sind und ihre journalistischen Arbeiten ohne Rücksprache mit der Redaktion, unter Fortbestand der Haftungsregeln gegenüber dem Medienhaus, veröffentlichen. Dabei waren sich die Diskussionsteilnehmer einig, dass die bereits bestehenden professionellen journalistischen Standards in Deutschland den geforderten Mindestschutz bereits ausreichend erfüllen und darüber hinausgehen, und nicht vom EMFA im Detail, wie die arbeitsrechtlichen Regelungen, geändert werden sollte. In Bereichen, in denen diese Standards nicht eingehalten werden, würde der EMFA einen weiteren Schutz bieten und den Schutz der Medien in Deutschland weiter verstärken. In der Diskussion wurde mehrfach der Umstand eingebracht, dass mit dem EMFA ein Mindeststandard in der EU erreicht werden soll, und der Erlass des EMFA nicht eine Reaktion auf Mitgliedstaaten ist, in denen diese Mindeststandards bereits bestehen und eingehalten werden. Ein weiterer Schwerpunkt lag in der Auswirkung des EMFA auf Start-up Unternehmen. Die Diskussionsteilnehmer erwarten im deutschen Rechtsraum aller Wahrscheinlichkeit nach keinen Konflikt mit dem EMFA, solange die bereits bestehenden professionellen journalistischen Standards von Start-up Unternehmen eingehalten werden. Darüber hinaus könnte der EMFA zu einer Vergegenwärtigung der Rechte und Pflichten im Journalismus bei Start-up Unternehmen führen. Uneinigkeit bestand im Hinblick zur Schaffung von internen oder externen Aufsichtsgremien zur Selbstkontrolle. Dabei wurde angemerkt, dass diese Kontrollstrukturen aufgrund der vorherigen Tätigkeit im professionellen journalistischen Bereich in vielen Start-up Unternehmen bereits bestehen würden und es der Einführung eigener Aufsichtsgremien innerhalb und außerhalb der Unternehmen nicht bedarf, solange professionelle Standards von Start-up Unternehmen eingehalten werden. Eine im Anschluss gestellte Frage zu den Folgen einer Kollision von zwei Grundrechtsträgern bei der Berufung auf dasselbe Grundrecht, namentlich Art. 5 GG, führte zu dem Ergebnis, dass durch den EMFA die Möglichkeit einer Abweichung von deutschen Standards durch eine europäische Judikatur durch den EMFA bestehe. Diese zusätzliche Berücksichtigung des Unionsrechts und der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs wird bei Inkrafttreten des EMFA künftig mit zu berücksichtigen sein.
Im dritten und letzten Panel diskutierten Frau Dr. Renate Dörr, Justitiariat und Europabüro des ZDF, Mainz/Brüssel, Frau Dr. Jenny Weinand, Legal Counsel European Broadcasting Union (EBU), Genf, und Herr Dr. Matthias Knothe, Leiter der Stabsstelle für Medienpolitik in der Staatskanzlei Schleswig-Holstein, Kiel, moderiert von Dr. Jörg Ukrow, geschäftsführendes Vorstandsmitglied des EMR, über die Auswirkungen des EMFA auf den öffentlichen Rundfunk. Die Verankerung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, sowie dessen Unabhängigkeit und Finanzierung, sowie die Harmonisierung auf einen Mindeststandard wurden zumindest grundsätzlich als positive Entwicklung aufgenommen. Aus verschiedenen Perspektiven problematisiert wurde die Rechtsgrundlage des EMFA, die Fülle an unbestimmten Rechtsbegriffen und die fehlende Auftragsdefinition des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Die Frage der Auswirkung von Art. 5 II EMFA (die Berufung, Abberufung und die Amtszeit des Vorsitzes und des Verwaltungsrates in den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten) wurde als gering eingeschätzt, da die bestehenden Bestimmungen in Deutschland den Anforderungen aus dem EMFA bereits Rechnung tragen. Hinsichtlich der Frage der Transparenz der Finanzierung nach Art. 5 III EMFA wird keine Änderung im nationalen Recht vermutet.
Das EMR bedankt sich herzlich bei den Vortragenden, den Diskussionsteilnehmern, sowie der Zuhörerschaft und freut sich auf eine Fortsetzung der anregenden Diskussion zum EMFA in zukünftigen Veranstaltungen.
Der Tagungsbericht wurde verfasst von Felix Engleitner, Rechtsreferendar am OLG München und in der Wahlstation beim Institut für Europäisches Medienrecht e. V. (EMR), Saarbrücken.