Mit Urteil vom 27. Juli 2022 hat die Große Kammer des Gerichts der Europäischen Union die Klage von RT France auf Nichtigerklärung der nach Ausbruch des Krieges in der Ukraine erlassenen Rechtsakte des Rates abgewiesen, mit denen dem Sender vorübergehend die Ausstrahlung von Inhalten untersagt wird.
Mit Beschluss und Verordnung vom 1. März 2022 hatte der Rat der Europäischen Union mit restriktiven Maßnahmen auf von der Russischen Föderation kontinuierlich und konzertiert betriebene Propagandaaktionen reagiert, die sich gegen die Zivilgesellschaft in der Union und ihrer Nachbarländer richten und die Fakten drastisch verzerren und manipulieren. Im Zuge dessen wurden insbesondere vorübergehende Sendverbote gegen Medien verhängt, die von Russland gesteuerte Desinformation in der EU verbreiten: Sender der Gruppe RT (Russia Today English RT, Russia Today UK RT, Russia Today Germany RT, Russia Today France RT, Russia Today Spanish) und Sputnik. Hiergegen hatte RT France beim Gericht der Europäischen Union Nichtigkeitsklage gestützt auf vier Klagegründe erhoben: Gerügt wurde eine Verletzung der Verteidigungsrechte, der Meinungs- und Informationsfreiheit, des Rechts auf unternehmerische Betätigung und des Grundsatzes der Nichtdiskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit. Darüber hinaus wurde die Zuständigkeit des Rates für den Erlass der angefochtenen Rechtsakte in Frage gestellt.
In seinem Urteil, das im Anschluss an ein beschleunigtes Verfahren mit einer Dauer von vier Monaten und 19 Tagen ergangen ist, wies das Gericht die Klage nunmehr zurück. Hervorgehoben wird darin zunächst der große Ermessenspielraum über den der Rat im Hinblick auf die Ziele der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) verfügt. Hiervon sei es gedeckt, auch Maßnahmen zu ergreifen, die sich gegen schwerwiegende Bedrohungen des Friedens an den Grenzen Europas und die Verletzung des Völkerrechts richten, indem vorübergehende Verbote der Ausstrahlung von Inhalten durch bestimmte vom russischen Staat finanzierte Medien verhängt werden. Hieran ändere es auch nichts, dass die französische Regulierungsbehörde für audiovisuelle und digitale Kommunikation (Arcom) für den Erlass von Sanktionen gegen RT France wegen unangemessener redaktioneller Inhalte zuständig ist. Das tangiere nicht die eigene Zuständigkeit des Rates, die sich (auch) auf RT France erstrecken.
Auch inhaltliche Bedenken weist die Große Kammer zurück. In Bezug auf die gerügte die Verletzung der Verteidigungsrechte des Senders, weist das Gericht auf den außergewöhnlichen Kontext und die äußerste Dringlichkeit der Maßnahmen hin. Vor diesem Hintergrund seien unverzügliche Gegenmaßnahmen gegen die Propagandatätigkeit zur Unterstützung des militärischen Angriffs unerlässlich gewesen, sodass insbesondere keine vorherige Anhörung von RT France erforderlich gewesen sei. Auch die Rüge einer unzureichenden Begründung der Maßnahmen wies das Gericht zurück: Unter Berücksichtigung des spezifischen Kontextes und der besonderen Umstände ihres Erlasses, seien die Rechtsakte ausreichend verständlich und hinreichend genau, um RT France eine Anfechtung zu ermöglichen. Auch die Meinungs- und Informationsfreiheit sowie die unternehmerische Freiheit seien nicht verletzt, da der Eingriff gerechtfertigt, insbesondere vorhersehbar und verhältnismäßig sei. Hierbei hebt das Gericht vor allem die Bedeutung der audiovisuellen Medien in der modernen Gesellschaft hervor und dass deshalb einer umfassenden medialen Unterstützung der militärischen Aggression der Russischen Föderation gegen die Ukraine, die im Rahmen von Sendungen im Fernsehen und im Internet durch ein vollständig vom russischen Staat finanziertes Medienunternehmen erfolge, mit einem umfassenden Verbot entgegengewirkt werden könne. RT France habe insbesondere Informationen ausgestrahlt , die die militärische Aggression gegen die Ukraine rechtfertigten und geeignet waren, eine erhebliche und unmittelbare Bedrohung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit der Union darzustellen. Das sei auch von der Verfolgung von anerkannten Zielen von allgemeinem Interesse gedeckt, und zwar einerseits die öffentliche Ordnung und Sicherheit der Union zu schützen, die durch die systematische Propagandakampagne bedroht sei, und andererseits mit einer Reihe von restriktiven Maßnahmen Druck auszuüben, damit Russland die militärische Aggression gegen die Ukraine beende.