Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat in seinem Urteil vom 28. Juni 2018 in der Sache M.L. und W.W. ./. Deutschland (application nos. 60798/10 und 65599/10) festgestellt, dass die namentliche Nennung von verurteilten Mördern samt entsprechender Bebilderung in den Online-Archiven von Presseunternehmen keine Verletzung von Art. EMRK (Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens) darstelle. Damit räumte der Gerichtshof der Erfüllung der öffentlichen Aufgabe in Form der Zurverfügungstellung von Informationen durch die Medien  den Vorrang gegenüber dem Recht verurteilter Straftäter auf Vergessen ein. 

In dem Rechtsstreit ging es um die beiden Männer, die im Jahre 1993 rechtskräftig in einem Indizienprozess wegen des Mordes an dem beliebten bayerischen Schauspieler Walter Sedlmayr verurteilt worden waren. Nach ihren Haftentlassungen in den Jahren 2007 und 2008 gingen die beiden verurteilten Straftäter dagegen, dass die Online-Archive von SPIEGEL,  Deutschlandradio und Mannheimer Morgen noch 18 Jahre nach der Straftat Informationen über den Mord und die Verurteilung zur Verfügung stellten, in denen sie namentlich genannt wurden. Sie beriefen sich vor Gericht gegenüber den Medienunternehmen auf ihr Recht auf Vergessenwerden. Nach Entscheidungen des LG und des OLG Hamburg wies der  BGH (Urteil des VI. Zivilsenats vom 8.5.2012 Az. VI ZR 217/08) die auf Unterlassung und Beseitigung gerichteten Klagen jedoch letztinstanzlich ab. Der BGH stellte dabei fest, dass das Bereithalten der den Kläger namentlich als wegen Mordes Verurteilten bezeichnenden
Meldung zum Abruf im Internet einen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers darstelle. Allerdings sei das Informationsinteresse der Öffentlichkeit und das Recht der Medien auf freie Meinungsäußerung in dem Fall höher zu gewichten. Gegen das Urteil des BGH legten die unterlegenen Kläger Beschwerde vor dem EGMR ein. 

Der EGMR schloss sich jedoch im Ergebnis den Ausführungen des BGH an und wies die Beschwerde als unbegründet zurück, da eine Verletzung des Art. 8 EMRK nicht vorliege. Aufgabe der Medien sei es gerade, sich an dem Prozess demokratischer Willensbildung zu beteiligen, indem sie der Öffentlichkeit alte Nachrichten, die in ihren Archiven aufbewahrt werden, zur Verfügung stellen. Die Herangehensweise an ein bestimmtes Thema sei dabei eine Frage der journalistischen Freiheit und Artikel 10 der Konvention räume bei Wahrung der journalistischen Ethik eine journalistische Freiheit hierbei ein. Die Aufnahme individualisierter Informationen in einen Bericht, wie etwa der vollständige Name der betreffenden Person, sei dabei ein wichtiger Aspekt der Pressearbeit, insbesondere bei der Berichterstattung über Strafverfahren, die beträchtliche Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatten und im Laufe der Zeit unvermindert anhielten. Ins Gewicht falle bei der Abwägung der widerstreitenden Interessen auch, dass einer der Beschwerdeführer bei seinem jüngsten Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens im Jahr 2004 der Presse selbst eine Reihe von Dokumenten übermittelt und Journalisten eingeladen hätten, die Öffentlichkeit zu informieren. 

Die Pressemitteilung des EGMR ist abrufbar unter

http://hudoc.echr.coe.int/eng?i=003-6128897-7918743