Nach einer öffentlichen Konsultation zum Thema „fake news and online misinformation“ (vgl. hierzu auch den Bericht und die Stellungnahme des EMR unter https://emr-sb.de/fake-news-emr-beantwortet-fragebogen-der-eu-kommission/ oder unter https://ec.europa.eu/digital-single-market/en/news/synopsis-report-public-consultation-fake-news-and-online-disinformation) und der Einrichtung einer Expertengruppe aus Vertretern der Zivilgesellschaft, Plattformen, sozialen Medien und Nachrichtenmedienorganisationen sowie aus Journalisten und Wissenschaftlern (High Level Expert Group, HLEG), mit deren Eingaben sich die Europäische Kommission u.a. einen Überblick über den aktuellen Meinungs- und fachspezifischen Sachstand verschaffen konnte, hat sie heute wie geplant eine Mitteilung an das Europäische Parlament, den Rat, den Wirtschafts- und Sozialausschuss sowie den Ausschuss der Regionen veröffentlicht, mit der sie sich in der aktuellen Debatte positioniert.
Der Aspekt, der dabei als erstes auffällt, ist, dass die Kommission den Begriff der Desinformation (‚disinformation‘) übernimmt, den die HLEG Anfang März ihren Feststellungen und Vorschlägen zugrunde gelegt und dabei betont hatte: „The threat is disinformation, not “fake news” – ein auch in der weiteren Debatte nicht nur auf EU-Ebene diskussionsbedürftiger Ansatz. Die – vor dem Hintergrund der aktuellen Diskussion einer Regulierung oder zumindest Etablierung von Bekämpfungsmechanismen gegen Falschnachrichten so wichtige – Definition der Kommission weicht allerdings in einem interessanten Punkt von der Begriffsbestimmung der HLEG ab: Während diese davon ausgeht, dass Desinformation dann zu bekämpfen sei, wenn sie verbreitet wird, um der Öffentlichkeit Schaden zufügen („false, inaccurate, or misleading information designed, presented and promoted to intentionally cause public harm or for profit“), scheint der Ansatz der Kommission weniger strikt zu sein und nicht auf die betreffende Schädigungsabsicht abzustellen, sondern lässt bereits eine entsprechende Schädigungsmöglichkeit genügen („false or misleading information that is created, presented and disseminated for economic gain or to intentionally deceive the public, and may cause public harm“). In der Tat steht damit der wichtige Punkt in Verbindung, dass Falschnachrichten generell bereits durch ihre Existenz und Verbreitungsmöglichkeit (latent) den Prozess der politischen Willensbildung und damit ein essentielles Element der Demokratie gefährden – nicht nur für das Individuum, sondern auch für die Gesellschaft. Hierzu hat das EMR in seiner neuesten Publikation der Reihe EMR/Script „“Fake News“ als Rechtsproblem“ bereits umfassende Feststellungen getroffen (Die Publikation steht hier zum Download bereit).
Für die Verbreitung von Desinformation bezeichnet die Kommission wirtschaftliche, technologische, politische und ideologische Gegebenheiten als ursächlich. Dazu zählt sie etwa den Aufstieg von Plattformen im medialen Sektor, der wiederum die ‚klassischen‘ Medien insofern beeinflusst, als sie neue Wege suchen (müssen), um ihre Inhalte zu monetarisieren, und die Schaffung neuer bzw. Manipulation vorhandener Technologien im Bereich sozialer Netzwerke, die die Verbreitung von Desinformation ermöglicht oder zumindest erleichtert.
Die Kommission kommt vor diesem Hintergrund zum Schluss, dass die Bekämpfung von Desinformation auf lange Sicht nur dann erfolgreich sein kann und wird, wenn sie von einem klaren politischen Willen zur Stärkung der kollektiven Widerstandsfähigkeit und zur Unterstützung demokratischer Anstrengungen und der europäischen Werte begleitet wird. Eine einzige Lösung gebe es dafür angesichts der Vielzahl an sich aus der Komplexität des Problems ergebenden Herausforderungen nicht. Handlungsbedarf wird aber durchaus gesehen, wobei jede politische Reaktion umfassend sein, das Phänomen der Desinformation kontinuierlich bewerten und die politischen Instrumente angesichts deren Entwicklung anpassen sollte.
Dabei nennt die Kommission insbesondere vier große Punkte, deren Beachtung und Umsetzung sie als essentiell für eine lösungsorientierte Problembehandlung betrachtet:
Erstens müsse Transparenz hinsichtlich der Herkunft von Informationen und der Art und Weise, wie sie produziert, gesponsert und verbreitet werden, geschaffen werden. Hierfür müssten den Bürgern insbesondere Mittel an die Hand gegeben werden, die es diesen ermöglichen, Inhalte, auf die sie zugreifen, zu bewerten und mögliche Manipulationsversuche aufzudecken.
Zweitens müsse die Informationsvielfalt gefördert werden, um den Bürgern zu ermöglichen, auf der Grundlage kritischen Denkens fundierte Entscheidungen zu treffen. Journalismus von hoher Qualität, Medienkompetenz und die Neuausrichtung der Beziehung zwischen Informationsschaffenden und Informationsmittlern unterstützen aus Sicht der Kommission diesen Ansatz.
Drittens müssen die Glaubwürdigkeit von Informationen bzw. auf diese Weise auch glaubwürdige Informationen selbst gefördert werden. Vorgeschlagen wird von der Kommission etwa die Etablierung von Kennzeichen für vertrauenswürdige Inhalten sowie die Verbesserung der Rückverfolgbarkeit von Informationen und der Authentifizierung besonders einflussreicher Informationsanbieter.
Schließlich erfordere – viertens – die Gestaltung integrativer und langfristiger Lösungen eine Sensibilisierung für die Thematik, die Förderung von Medienkompetenz, eine breite Einbindung der Interessengruppen und die Zusammenarbeit von Behörden, Online-Plattformen, Werbetreibenden, Journalisten und Mediengruppen.
Aufbauend auf diesen Schlüsselprinzipien schlägt die Kommission anschließend auch einige detailliertere Richtlinien vor, die vor allem Plattformbetreiber adressieren. Insbesondere sollen diese ihre Werberichtlinien und konkreten Werbemaßnahmen transparenter gestalten, damit die Nutzer bezahlte Inhalte besser von Informationen unterscheiden können. Die Einrichtung von Faktenchecker-Tools soll den Nutzern eigene Mittel zur Förderung ihrer Medienkompetenz an die Hand geben. Im Hinblick auf letzteres spricht sich die Kommission daneben auch dafür aus, zukünftig Pilotprojekte wie „Medienkompetenz für alle“, aber auch länger bestehende Programme wie u.a. das Erasmus+ Programm auch im Hinblick auf diese Thematik zu fördern. Schließlich wird angemerkt, dass die Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste (vgl. hierzu Meldung zur politischen Einigung im Trilog ebenfalls am gestrigen Tage und die Synopse EMR zur AVMD-Richtlinie auf Deutsch oder Englisch) die Bedeutung der Medienkompetenz anerkennen und ihre Überarbeitung weiterhin darauf abzielen müsse, die Überwachung der von den Behörden der Mitgliedstaaten im Bereich Medienkompetenz durchgeführten Maßnahmen zu verstärken.
Vor dem Hintergrund, dass in den letzten Jahren in 18 verschiedenen Ländern Wahlen von gezielten Manipulations- und Desinformationstaktiken im Internet begleitet wurden, spricht die Kommission auch die Bedeutung der Sicherheit von Wahlkampagnen an. Dieser für das demokratische System so wichtige Prozess müsse vor verfälschenden Einwirkungen geschützt werden. Lösungen sollen hier vor gemeinsam mit den Mitgliedstaaten gefunden werden, wobei die Kommission hierzu unter anderem auf die Arbeit in der Cooperation Group, die unter der Richtlinie zur Gewährleistung einer hohen Netzwerk- und Informationssicherheit (NIS-Richtlinie) eingerichtet wurde, die sich mit dieser Thematik vor dem Hintergrund der Cybersicherheit bereits beschäftigt hat.
Die Kommission wird ihre Bestrebungen nun unter anderem durch die Einrichtung einer Stakeholder Group intensivieren. Weitere Ergebnisse ihrer Arbeit sollen im Dezember 2018 vorgestellt werden.
Die Mitteilung „Tackling online disinformation: a European Approach“ der Europäischen Kommission ist abrufbar unter:
Die Ergebnisse der HLEG sind abrufbar unter:
Die Publikation „“Fake News“ als Rechtsproblem“ des EMR ist abrufbar unter:
https://emr-sb.de/fake-news-als-rechtsproblem/