Am gestrigen Montag, den 29. Juli 2019, verkündete der EuGH gleich vier Urteile in einigen der in medienrechtlichen und -politischen Fachkreisen meist erwarteten Fälle: Beck-Manuskript, Facebook Like-Buttons, Metall auf Metall und Afghanistan Papiere – so die Schlagwörter zu den Entscheidungen. Alle vier Urteile basieren auf Vorlagefragen aus Deutschland und behandeln unterschiedliche Aspekte des Medienrechts samt verwandter Rechtsgebiete.
Die Nutzung eines geschützten Werks in der Berichterstattung über Tagesereignisse erfordert grundsätzlich keine vorherige Zustimmung des Urhebers
So lautet das Urteil in der Rechtssache C-516/17 – Spiegel Online gegen Volker Beck. Das Zitat eines Werks kann außerdem laut EuGH mittels eines Hyperlinks erfolgen, sofern das zitierte Werk der Öffentlichkeit zuvor in seiner konkreten Gestalt mit Zustimmung des Urheberrechtsinhabers, aufgrund einer Zwangslizenz oder aufgrund einer gesetzlichen Erlaubnis, zugänglich gemacht wurde.
In dem Rechtsstreit ging es um den Politiker Volker Beck, der im Jahr 1988 einen Artikel verfasst hatte, der bei Veröffentlichung vom Herausgeber laut seinen Angaben verändert wurde. In dem Artikel vertrat der Politiker heikle und umstrittene strafrechtliche Positionen. Später distanzierte sich Beck von dem Inhalt des Artikels. Im Zuge des Bundestagswahlkampfes 2013 stellte er verschiedenen Zeitungsredaktionen das Manuskript des in Rede stehenden Artikels als Nachweis zur Verfügung, dass dieser verändert worden sei. Der Veröffentlichung der Texte in den Medien stimmte er nicht zu. Jedoch veröffentlichte er beide Versionen des Artikels auf seiner eigenen Website, versehen mit der Aufschrift, dass er sich von dem Beitrag distanziere und der veröffentlichte Artikel vom Herausgeber verfälscht worden sei. Später veröffentlichte Spiegel Online einen Presseartikel, in dem behauptet wurde, der Politiker habe die Öffentlichkeit getäuscht, weil der wesentliche Inhalt des Manuskripts in der Ausgabe von 1988 nicht verfälscht worden sei. Zusätzlich zum Presseartikel konnte die Originalfassung des Manuskripts und des veröffentlichten Artikels über einen Link abgerufen werden. Der Politiker sah sich in seinen Urheberrechten verletzt und wehrte sich gegen die Zugänglichmachung des vollständigen Texts. Der Bundesgerichtshof legte den Fall dem EuGH vor im Hinblick auf Fragen zur Auslegung der Bestimmungen der Richtlinie 2001/29/EG und deren Verhältnis zu den Grundrechten, insbesondere der Freiheit der Meinungsäußerung und der Medien.
Der EuGH sah darin nunmehr aber keine Urheberrechtsverletzung: Die Richtlinie harmonisiere die Reichweite der Ausnahmen und Beschränkungen in Bezug auf die ausschließlichen Rechte des Urhebers zur Vervielfältigung oder öffentlichen Wiedergabe seines Werks nicht vollständig und überlasse den Mitgliedstaaten einen größeren Gestaltungsspielraum. Bei der Möglichkeit der Mitgliedstaaten allerdings, Ausnahmen von den ausschließlichen Rechten des Urhebers in Bezug auf die Berichterstattung über Tagesereignisse zu erlauben, dürften sie diese aber nicht davon abhängig machen, dass der Urheber zuvor um seine Zustimmung ersucht wurde. Im Übrigen sei es Sache der nationalen Gerichte, zu prüfen, ob die Veröffentlichung der Originalfassungen des Manuskripts (ohne Distanzierungsvermerke des Autors) erforderlich war, um das verfolgte Informationsziel zu erreichen. Dabei sei insbesondere zu berücksichtigen, dass der Schutz des Rechts des geistigen Eigentums nicht bedingungslos sei und ob die Art der betreffenden Information im Rahmen der politischen Auseinandersetzung von besonderer Bedeutung sei.
Hinsichtlich der Ausnahme des Zitatrechts, urteilte der EuGH, dass es nicht notwendig sei, dass das zitierte Werk – beispielsweise durch Einrückungen oder die Wiedergabe in Fußnoten – untrennbar in den Gegenstand eingebunden ist, in dem es zitiert wird. Vielmehr könne das Zitat auch durch Verlinkung auf das zitierte Werk erfolgen. In diesem Fall müsse jedoch die Nutzung den « anständigen Gepflogenheiten entsprechen und durch den besonderen Zweck gerechtfertigt sein », also nur soweit reichen, wie das Zitat für die Erreichung des Ziels (der Berichterstattung) erforderlich ist.
Das gelte indes auch nur für Werke, die der Öffentlichkeit rechtmäßig zugänglich gemacht wurden – ob mittels Zustimmung des Urhebers, aufgrund einer Zwangslizenz oder aufgrund einer gesetzlichen Erlaubnis. Daher werden die deutschen Gerichte nun zu prüfen haben, ob der damalige Herausgeber bei der ursprünglichen Veröffentlichung des Manuskripts rechtmäßig gehandelt hat. Angesichts der vorgenommenen Änderungen scheint dies fragwürdig. Die Veröffentlichungen, die durch Volker Beck selbst auf seiner Webseite vorgenommen wurden, reichen allerdings laut EuGH nicht aus, um das Zitatrecht diesbezüglich zu bedienen. Denn diese hätten nur mit Distanzierungsvermerk rechtmäßig zitiert werden dürfen.
Der Betreiber einer Website, in der der „Gefällt mir“-Button von Facebook enthalten ist, kann für das Erheben und die Übermittlung der personenbezogenen Daten der Besucher seiner Website gemeinsam mit Facebook verantwortlich sein
so der EuGH in der Rechtssache C-40/17, Fashion ID GmbH & Co. KG gegen die Verbraucherzentrale NRW eV. Aufgrund der weiten Verbreitung der sog. « Like-Buttons » und der dadurch konstruierten Anbindung von Webseiten an das soziale Netzwerk Facebook, hat das Urteil weitreichende Konsequenzen für die Praxis, insbesondere wenn man die Undurchsichtigkeit der Datenerhebung durch Facebook bedenkt. Lediglich ein kleiner Lichtblick bleibt für Webseitenbetreiber: Sie sind laut EuGH zumindest grundsätzlich nicht für die spätere (Weiter-)Verarbeitung dieser Daten allein durch Facebook verantwortlich.
Wohl stellvertretend für unzählige andere Unternehmen war im zugrundliegenden Rechtsstreit ein deutscher Online-Versandhändler für Modeartikel, die Firma Fashion ID, beklagt, die auf ihrer Webseite den „Gefällt mir“- Button von Facebook eingebunden hatte. Beim Klick auf diesen Button durch Nutzer der Seite wurden verschiedene, hier nicht im Detail zu behandelnde, Daten an Facebook übermittelt und teilweise mit dem jeweiligen Nutzerprofil auf dem sozialen Netzwerk verknüpft. Hiergegen vorgegangen war die Verbraucherzentrale NRW unter Hinweis auf geltende Bestimmungen des Datenschutzrechts. Das mit dem Rechtsstreit befasste Oberlandesgericht Düsseldorf ersuchte den EuGH um die Auslegung einer Reihe von Bestimmungen der früheren Datenschutzrichtlinie von 1995 (die weiterhin auf den Fall Anwendung findet, obwohl sie mittlerweile durch die DS-GVO ersetzt wurde).
Der EuGH schloss sich der Ansicht der Verbraucherzentrale, die er im Übrigen als Verband für die Wahrnehmung von Verbraucherinteressen auch für klagebefugt hielt, im Wesentlichen an. Fashion ID, bzw. verallgemeinert Webseitenbetreiber, die den Gefällt-mir-Button eingebunden haben, könnten für die Vorgänge des Erhebens (!) der in Rede stehenden Daten und
deren Weiterleitung durch Übermittlung an Facebook Ireland als gemeinsam mit Facebook verantwortlich angesehen werden, da davon ausgegangen werden kann, dass sie gemeinsam über die Zwecke und Mittel entscheiden. Insbesondere, so der EuGH, scheine es, dass durch die erhobenen und übermittelten Daten Werbeoptimierungen durch den Webseitenbetreiber erleichtert und die Werbewirkung durch die Sichtbarkeit auf dem sozialen Netzwerk vergrößert würden. Angesichts dieser Vorteile scheine der Webseitenbetreiber mit der Einbindung des Buttons zumindest stillschweigend in das Erheben personenbezogener Daten der Besucher und deren Weitergabe durch Übermittlung eingewilligt zu haben. Sowohl Facebook als auch die Webseitenbetreiber handeln also zum Zwecke ihrer wirtschaftlichen Interessen. Dementsprechend treffe auch den Webseitenbetreiber die Verpflichtung aus Datenschutzrichtlinie (bzw. in Zukunft aus der DS-GVO), dafür Sorge zu tragen, dass er eine rechtmäßige Einwilligung der Nutzer einholt oder eine gesetzliche Rechtfertigung der Datenverarbeitung besteht, über die er den Nutzer hinreichend detailliert informiert.
Nicht (mit)verantwortlich sei der Webseitenbetreiber jedoch für die weitere Verarbeitung der übermittelten Daten durch Facebook. Es erscheine auf den ersten Blick ausgeschlossen, dass der Webseitenbetreiber über die Zwecke und Mittel dieser Vorgänge entscheide – so der EuGH.
Für die Praxis bedeutet das laut EuGH folgendes: Für Fälle der notwendigen Einholung einer Einwilligung muss der Webseitenbetreiber diese für die Vorgänge einholen, für die er mitverantwortlich ist (Erhebung und Übermittlung, nicht aber Weiterverarbeitung). Für die Datenverarbeitung auf Grundlage berechtigter Interessen (heute Artikel 6 Abs. 1 lit. f DS-GVO) sei erforderlich, dass sowohl Facebook als auch der Webseitenbetreiber ein berechtigtes Interesse an der Erhebung und Übermittlung der Daten haben und entsprechend darüber informieren.
Das Sampling kann einen Eingriff in die Rechte des Tonträgerherstellers darstellen, wenn es ohne dessen Zustimmung erfolgt; Die Nutzung eines Audiofragments, das einem Tonträger entnommen wurde, in geänderter und beim Hören nicht wiedererkennbarer Form stellt jedoch auch ohne Zustimmung keinen Eingriff in diese Rechte dar
Mit diesem Urteil in der Rechtssache C-476/17, Pelham GmbH, Moses Pelham und Martin Haas / Ralf Hütter und Florian Schneider-Eslebenweicht, hat der EuGH die Rechte der Künstler beim sog. Sampling gestärkt und dabei auch die deutsche Sonderregelung zur « freien Benutzung » im Urheberrecht als unionsrechtswidrig eingestuft.
Im Kern der Sache ging es um das Musikstück « Metall auf Metall » der Musikgruppe Kraftwerk von 1977. 1997 wurden etwa zwei Sekunden einer Rhythmussequenz aus diesem Stück von Musikkomponisten Moses Pelham (u.a.) für den Song « Nur mir » von Sabrina Setlur genutzt. Zwei Mitglieder der Gruppe Kraftwerk verlangten unter Verweis auf ihre Rechte als Hersteller des betroffenen Tonträgers Unterlassung, Schadensersatz und Herausgabe der Tonträger zum Zweck ihrer Vernichtung. Der zuletzt mit der Sache befasste BGH legte dem EuGH einige Fragen zur Auslegung des Unionsrechts in diesem Zusammenhang vor, die unter anderem die Technik des Samplings an sich sowie die Reichweite verschiedener Ausnahmen und Beschränkungen der Urheberrechte (freie Benutzung und Zitatrecht) betreffen.
Zur grundsätzlichen Einordnung des Sampling stellt der EuGH fest, dass die Tonträgerhersteller das ausschließliche Recht haben, die Vervielfältigung ihrer Tonträger ganz oder teilweise zu erlauben oder zu verbieten – ein Recht, dass auf EU-Ebene vollständig harmonisiert und daher keinen nationalen Gestaltungsspielräumen zugänglich sei. Die Vervielfältigung eines – wenn auch nur sehr kurzen – Audiofragments sei hiervon grundsätzlich erfasst und daher von der Zustimmung des Tonträgerherstellers abhängig. Eine Vervielfältigung liege jedoch nicht vor, wenn ein Nutzer in Ausübung seiner Kunstfreiheit einem Tonträger ein Audiofragment entnimmt, um es in geänderter und beim Hören nicht wiedererkennbarer Form in ein neues Werk einzufügen. Etwas anderes widerspräche u. a. dem Erfordernis, einen angemessenen Ausgleich zwischen Urheberrecht, Kunstfreiheit und Allgemeininteressen zu finden. Eine Kopie, an deren Verbreitung der Tonträgerherstellung ein ausschließliches Recht hat, liege nur vor, wenn alle oder ein wesentlicher Teil der Töne übernommen werden, nicht aber, wenn nur Musikfragmente, gegebenenfalls in geänderter Form, übernommen werden, um ein neues und davon unabhängiges Werk zu schaffen.
Zu der Vorlagefrage in Bezug auf die Sonderregelung zur freien Benutzung im deutschen Urheberrecht (§ 24 UrhG sieht vor, dass ein selbständiges Werk, das in freier Benutzung eines geschützten Werks geschaffen worden ist, grundsätzlich ohne die Zustimmung der Rechtsinhaber veröffentlicht und verwertet werden darf) äußerte sich der EuGH deutlich: Der Unionsgesetzgeber habe die Interessen der Hersteller und der Allgemeinheit bereits im Rahmen vorgesehener Ausnahmen und Beschränkungen des Urheberrechts berücksichtigt. Die deutschen Rechtsvorschriften, die trotz des abschließenden Charakters dieser Regelungen weitere Ausnahmen der freien Benutzung vorsehen, seien daher mit dem Unionsrecht nicht vereinbar.
Zu der Frage nach der möglichen Einschlägigkeit des Zitatrechts in den Fällen des Samplings, stellt der EUGH fest, dass die Nutzung eines Audiofragments, das einem Tonträger entnommen wurde und das Werk, dem es entnommen ist, erkennen lässt, unter bestimmten Voraussetzungen ein Zitat sein könne. Das gelte insbesondere dann, wenn es eine Interaktion mit dem Ursprungswerk bezwecke. Das Zitatrecht könne dagegen nicht einschlägig sein, wenn das zitierte Werk nicht erkennbar sei.
Die Informationsfreiheit und die Pressefreiheit können außerhalb der in der Urheberrechtsrichtlinie vorgesehenen Ausnahmen und Beschränkungen keine Abweichung von den Urheberrechten rechtfertigen
Das ist der Leitsatz aus der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache C-469/17, Funke Medien NRW GmbH gegen die Bundesrepublik Deutschland. Etwas überraschend war hier insbesondere, dass der EuGH sich derart deutlich zur grundsätzlichen Bedeutung der Presse- und Informationsfreiheit bei urheberrechtlich relevanten Veröffentlichungen geäußert hat, da die Schutzfähigkeit der in Rede stehenden « Afghanistan-Papiere » bereits erheblich in Frage gestellt wurde.
Im Fokus des Rechtsstreits steht die Veröffentlichung von militärischen Lageberichten über die Auslandseinsätze der Bundeswehr durch die Westdeutsche Allgemeinen Zeitung (WAZ) aus dem Jahr 2012. Diese Berichte werden wöchentlich von der Bundesregierung erstellt und gesammelt unter der Bezeichnung „Unterrichtung des Parlaments“ (UdP) und der Einstufung „VS-NUR FÜR DEN DIENSTGEBRAUCH“ an ausgewählte Abgeordnete des Deutschen Bundestags, Referate im Bundesministerium der Verteidigung und in anderen Bundesministerien sowie dem Bundesministerium der Verteidigung nachgeordnete Dienststellen übersandt. Wie die WAZ an einen Großteil der UdP gelangt ist, ist bislang ungeklärt – ihr zuvor gestellter Antrag auf Einsichtnahme in die UdP wurde jedenfalls mit der Begründung abgelehnt, dass das Bekanntwerden der Informationen nachteilige Auswirkungen auf sicherheitsempfindliche Belange der Bundeswehr haben könne. Gegen diese Veröffentlichung hat die Bundesrepublik Deutschland Klage auf Unterlassung gegen die WAZ erhoben und sich dabei auf ihr Urheberrecht an den ohne Genehmigung veröffentlichten Unterlagen berufen. Während die unterinstanzlichen Gerichte der Klage der BRD auf Basis der Verletzung von Urheberrechten an einem Sprachwerk stattgaben, richtete sich der BGH in der Sache an den EuGH und wollte dabei unter anderem wissen, ob die Grundrechte der Informationsfreiheit und der Pressefreiheit Einschränkungen des Urheberrechts auf Basis einer allgemeinen Interessenabwägung und außerhalb der gesetzlichen Schrankenregelungen ermöglichen. (Vgl. hierzu bereits ausführlich den Beitrag des EMR zur Vorlageentscheidung des EuGH vom 1. Juni 2017)
Der EuGH adressiert in seiner Entscheidung zunächst maßgeblich die nationalen Gerichte: Es sei deren Aufgabe zu prüfen, ob die Voraussetzungen für einen urheberrechtlichen Schutz militärischer Lageberichte vorliegen, insbesondere ob eine geistige Schöpfung vorliege, in der die Persönlichkeit des Urhebers zum Ausdruck kommt und die sich in frei getroffenen kreativen Entscheidungen ausdrückt.
Sollte dies der Fall sein, können die Informationsfreiheit und die Pressefreiheit laut EuGH außerhalb der in der Urheberrechtsrichtlinie vorgesehenen Ausnahmen und Beschränkungen keine Abweichung von den Urheberrechten rechtfertigen. Die durch die Urheberrechtsrichtlinie bewirkte Harmonisierung solle insbesondere vor dem Hintergrund der elektronischen Medien einen angemessenen Ausgleich zwischen den Rechten am geistigen Eigentum und dem Schutz der Interessen der Nutzer von Schutzgegenständen (insbesondere der Meinungsäußerungs- und Informationsfreiheit) sichern. Daher seien die diesbezüglich vorgesehenen Ausnahmen abschließend.
Der EuGH schloss aber ausdrücklich nicht aus, dass die vorliegende Veröffentlichung des WAZ unter die in der Urheberrechtsrichtlinie vorgesehenen Ausnahme für die Berichterstattung
über Tagesereignisse fallen könne.